Die Musik erzählt die Geschichte!
Zwei Welten, zwei Seiten einer Wand: Auf einer Seite tanzen die junge Wienerinnen mit den russischen Soldaten Walzer als Zeichen der wiederkehrenden Demokratie in Österreich; auf der anderen Seite kämpfen die jüdischen Häftlinge mit ihrer Todesangst, Aussichts- und Zukunftslosigkeit, sowie Entfremdung. Ihre Welt ist am Bröckeln, doch der Geist ist munter. Sie führen eine kleine Operette unter dem Namen „Wiener Blut“ auf. „Bis jetzt hat noch keiner die Geschichte verstanden, wichtig ist die Musik.“ Das Erstaunlichste ist aber, dass sie tatsächlich immer dabei ist: Sie ist die Emotion, ein Zeichen der Lebendigkeit, die aus den Geschehnissen geboren wird und die als einzig Wahres unkontrollierbar ist.
Doch in diesem Theaterstück gibt es keine Hoffnung auf ein Happy End – die Musik wird erlöschen.
Das Theaterstück „Jedem das Seine“ stellt die sorgfältig verdrängten Kapitel der Geschichte Österreichs in den Vordergrund: Die Todesmärsche von Juden durch die österreichische Provinz in den letzten Monaten des Krieges. Jahrzehntelang kämpften die Historiker um die Anerkennung dieser Geschichte, die sich in dem Stück perfekt entfaltet und auf amüsante und zugleich ernstzunehmende Weise zeigt. Sollten allerdings gerade einem jungen Publikum diese Geschehnissen näher gebracht werden, so ist darauf hinzuweisen, dass nur wenige jüngere Zuschauer den Weg ins Theater gefunden hatten.
Neben dem Tenor aus dem Budapester Operettenhaus entfaltet sich noch eine zweite Hauptfigur, die eine nicht weniger bedeutende Rolle im Stück spielt: Elfriede Schüsseleder, die Bäuerin, die sich auf die Seite der jüdischen Häftlinge stellt. Erstaunlicherweise ist sie die einzige Person, die nicht als Opfer dargestellt wird, abgesehen davon, dass ihr Sohn im Krieg gefallen ist, daher trifft sie ihre Entscheidungen unabhängig, selbstbewusst, kurz "strikt und einfach". Das bittere Kriegsleben hat sie hart gemacht, sie ist zu einem Menschen geworden, für den die Gerechtigkeit wichtiger ist als alle Operetten der Welt .Wird im Theaterstück „Jedem das Seine“ eine Frau als eine bessere Richterin gesehen? Die einzige Person, die eine Konfliktlösung anbieten kann?
Sie steht zwischen den Fronten, zwischen den gefühls- und mitleidlosen Nazis auf der einen und den jüdischen Häftlingen, die mit all ihren Ängsten, Träumen und Sorgen dargestellt werden, auf der anderen Seite. Aus dieser Position heraus soll nun diese Bäuerin eine richtige, eine menschliche Entscheidung treffen. Und folgt diese Entscheidung dem Motto: "Die Emotionen und Bauchgefühle dürfen nicht vor den Rechtsstaat geschoben werden"?
„Jedem das Seine“ bis 16.Mai im Theater in der Josefstadt in Wien.
(vs)
Foto: Herbert Neubauer