Beim heutigen Angebot an Theater, Oper, Zirkus, Akrobatik, Film findet sich kaum etwas, was einen noch überraschen kann. Alles scheint schon entdeckt und ziemlich abgenutzt zu sein. La Strada hat in dieser Hinsicht schon manchen Phönix aus der Asche geholt. Davon ist „Cirkus Cirkör“ wohl der meist gelungene und vor allem am längsten bejubelte.
Cirkus Cirkör ist eine schwedische Kompanie, die heute führende Zirkuskompanie unter dem skandinavischen zeitgenössischen Zirkus. Zusätzlich zu den Aufführungen bietet sie Kurse und Ausbildung für zielstrebige Künstler in Schweden und Skandinavien. Zeitgenössischer Zirkus, auch nouveau cirque genannt, der seine Verbreitung in den frankospachigen Ländern gefunden hat, zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm traditionelle akrobatische Fertigkeiten in eine Erzählung eingebunden sind. Gegründet wurde Cirkus Cirkör von Tilde Björfors 1995, die nach wie vor der Kopf der Kompanie ist. Statt kitschige überdimensionale Bühnen werden kleinen Theaterbühnen bevorzugt. So wie die der Grazer Oper.
„Limits“, auch „Borders“ genannt, heißt das Programm von Cirkus Cirkör, das gleichzeitig das Eröffnungsprogramm von La Strada ist. Das Thema Flüchtlinge, Migration, Flucht, Grenze ist auch hier hoch aktuell. Die Landesgrenzen und die Menschenmassenbewegung stellen die Künstler von Cirkus Cirkör den körperlichen Grenzen und der Dynamik gegenüber. Als Einleitung zum zweiten Teil lässt Tilde Björfors die Zuschauer im ausverkauften Saal der Grazer Oper aufstehen und ihre Augen schließen. Sie sagt, wenn sie die Augen schließt, fühlt sie ihren Körper sich bewegen, auch wenn sie reglos steht. Wie in Trance beim Klang der harmonischen Melodie schaukeln die Zuschauer leicht. Bewegung ist in uns selbst. Wir entscheiden, wann diese stattfindet und wann diese wieder aufhört.
Balance entsteht auch indem man sich aufeinander einstimmt und einander die Stü
tze ist. So sagt Tilde Björfors, dass sie selbst in der Akrobatik auf keinen Fall balancieren darf. Peter ist ihre Balance. And if I fall I hope, he will catch me. (Und wenn ich falle vertraue ich darauf, dass er mich auffängt).
Auch wenn die Bewegung bei der Show so hoch gepriesen wurde, kamen die Herzen der Zuschauer mehrmals beinahe zum Stillstand. Einmal als Tilde Björfors auf einer kleinen Schaukel etwa 3 Meter über der Bühne schwebte, einmal, als zwei Künstler abwechselnd auf eine Schaukel stiegen und in der Luft schwebend Salti machten. Dieses Gefühl des minutiösen Stillstandes gab ein gewisses Gefühl der Bewegung, indem man süchtig nach einem weiteren und noch weiteren Stillstand war, das sich mit den folgenden Zeilen des Avicii-Liedes „Taste the Feeling“ zusammenfassen lässt:
No one can stop me when I taste that feeling
Nothing could ever bring me down
No one can stop me when I taste that feeling
Nothing could ever bring me down
(Keiner kann mich aufhalten, wenn ich dieses Gefühl austeste
Nichts kann mich hinunterkriegen
Keiner kann mich aufhalten, wenn ich dieses Gefühl austeste
Nichts kann mich hinunterkriegen)
Aus wenig mach viel. So schaffte „Cirkus Cirkör“ aus einem Block ein Floß, eine Steigung, eine Wand. Mithilfe von Videoprojektion verwandelte sich die Bühne in ein rauschendes Meer und verkündete dem Zuschauer die aktuellen Statistiken der Flucht. Bei manchen Übertragungen wäre größere Schrift wünschenswert, da die Botschaft leider größtenteils verlorengegangen ist.
An den Zirkus erinnerte schließlich nur noch die bunte Kleidung á-la Pipi Langstrumpf, die bekanntlich original aus Schweden kommt.