Als Mister X (stimmgewaltig von Szabolcs Brickner verkörpert) auf Fürstin Fedora Palinska (Ursula Pfitzner), eine begeisterte Zirkusliebhaberin, trifft, tritt der falsche, seit Jahren tief verborgene Stolz erneut an die Oberfläche. Denn diese Frau ist es, die er für sein Lebensscheitern verantwortlich macht. Als er seinem Onkel seine Liebe zu Fedora gestand, ließ dieser seinen Neffen enterben. Das Schicksal und sein reiterliches Können haben ihn zum Zirkus geführt. Er wurde zu einem lächerlichen Gaukler mit einem gebrochenen Herzen, so beschreibt er sich selbst. Selbstbemitleidend und ohne jede Lebensperspektive geht er durchs Leben und findet keinen Sinn. In diesem Moment erscheint ihm die verwitwete Fedora Palinska, die ihn nicht erkennt, die vermutlich noch nie eine Notiz von ihm genommen hat, voller Glück, Stolz und mit vielen Liebhabern, die ihr die Welt zu Füßen legen, die diese allerdings schonungslos zurückweist. So geschieht auch dem Prinzen Sergius, der vergeblich um ihre Hand wirbt. Nach Rache dürstend verbündet er sich mit Mister X, in dem er ahnungslos eine verwandte Seele findet.
Mister X wird sein Rachezug zuviel, nachdem Fedora ihm ihre Liebe gesteht. Er entdeckt den Plan des Prinzen Sergius (Kurt Schreibmayer) mit dem gefälschten Brief des Zaren, demzufolge Fedora noch am nächsten Tag gegen ihren Willen an einen unbekannten Mann verheiratet wird, da so der politische Wille sei. Er gesteht dem Prinzen Sergius, er wird Fedora nicht heiraten. Er tut es jedoch, um seinen Stolz zu befriedigen, denn endlich bekommt er die Frau, die er schon immer haben wollte. Seine Feier unterbricht Prinz Sergius, der Fedora klarmacht, dass sie soeben Mister X und nicht, wie gedacht, den Prinzen Korossow geheiratet hat. Um Fedora nicht zu verlieren, versucht Mister X ihr klarzumachen, dass seine Gefühle zu ihr schon immer wahr waren:
„Ich liebe dich, ein heilig´ Wort,
wer immer es sagt,
ob Komödiant, ob großer Herr,
das Schicksal nicht fragt.“
Prinz Sergius feiert seinen Rachetriumph.
Aus einer stolzen Frau wurde eine Zirkusprinzessin
„Die Zirkusprinzessin“ spielt in St. Petersburg um 1912. Für die Frauen gilt es, eine gute Partie zu finden, am besten reich zu heiraten und sich schließlich dem Haushalt und den Kindern zu widmen. „Die Zirkusprinzessin“ verkörpert diese altmodische Sicht auf Frausein am besten. Während Männer auf Jagd sind, werden Frauen im Palast bespaßt und unterhalten. Fedora Palinska, die den Onkel von Fedja ¬Palinski geheiratet hat, um den Titel einer Fürstin zu erlangen, will ihren erreichten Status um nichts verlieren. Sie ist auch ein Antipode eines damaligen idealen Frauenbildes. Statt sich bequatschen und bespaßen zu lassen, nimmt Fedora an der Jagd teil. Sie ist eine stolze, selbstbewusste Frau, die weiß, was sie will und wie sie zu dem, was sie will, kommt. Nachdem sie jedoch den Status einer Fürstin erlangt hat, hat sie kein Bedürfnis mehr zu heiraten. Alles nur pour l´amour ist das einzige, was ihr noch fehlt. Ob sie allerdings den Prinzen Korossow tatsächlich liebt oder ihn als die beste Partie für die Heirat sieht, ist nicht ganz klar, auch wenn sie sich im Endeffekt für ihn entscheidet. Ihr Entsetzen über das Spiel zweier Männer statt Bemühen um sie äußert sie in ihren Endworten: Durch euren falschen Stolz – seht, was aus mir geworden ist: eine Zirkusprinzessin!
Ungeschickt und dumm vs. rachsüchtig
Ganz anders geht es bei Miss Mabel Gibson (uns bereits beim „Pinocchio“ aufgefallene Juliette Khalil) und Toni Schlumberger (Michael Havlicek) ab. Der junge Hotelerbe, der kein besonders ausgeprägtes Realitätsbewusstsein und keine herausragende Intelligenz besitzt, ist verliebt in den Zirkusschmetterling Miss Mabel Gibson. Die verwaiste Offizierstochter erweist sich als eine Realistin und findet in dem ungeschickten Muttersöhnchen eine gute Partie, auch wenn dieser jeder Männlichkeit fern ist. Beide vervollständigen die „schwarzen Punkte“ voneinander. Toni Schlumberger lässt seine Miss Mabel Gibson das letzte Wort sagen und überlässt ihr die Führung. Gleich wie Fedora weiß Miss Mabel Gibson, wie sie das, was sie will, erreicht. Anders als Mister X verhält sich hier Carla Schlumberger (Ulrike Steinsky) und anerkennt die Heirat zwischen der Tochter jenes Offiziers, der ihre Liebe vor vielen Jahren verraten hat, und ihrem Sohn.
Bewitzelt wird in der „Zirkusprinzessin“ die hohe Wiener Restaurantkunst. Denn der hier dargestellte „Erzherzog Karl“ gehört in die „Lahme Ente“ umbenannt, denn edel ist an dem nur, wenn überhaupt, die Tapezierung. Kunden werden bespitzelt, verjagt, das links heruntergefallene Besteck wieder rechts serviert und Gäste unaufmerksam links liegen gelassen.
Die Bühne von Peter Notz nach einer Idee von Sam Madwar, Kostüme von Sven Bindseil treffen die Sujet-Stimmung und den Geist der Zeit bzw. die Vorstellung von Russland ideal: weiße Birken, Schnee, Pelzmäntel und Husarenuniformen, bunte Zirkuskleider.
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Fotos: Barbara Pálffy/Volksoper Wien