Tom Cruise kann man persönlich mögen oder nicht, aber die Tatsache, dass er einfach Charisma hat, ist unbestritten. Als ich ihn als Les Grossman in Tropic Thunder 2008 im Fatsuit zu Ludacris‘ „Get Back“ tanzen sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – eigentlich ist er schon cool. Ob man nun über seine religiösen Ansichten und Eigenarten hinwegsehen kann oder nicht, so einige Tom Cruise Filme zählen zur Crème de la Crème jeglicher Hollywood Fabrikate, zumindest sind so manche Klassiker dabei, die man gesehen haben muss. So musste auch ich mir damals eingestehen, dass Tom Cruise es noch drauf hat und man sich nicht immer von persönlicher Pseudoabneigung vereinnahmen lassen sollte – pseudo deshalb, weil man nun mal nur eine Fassade kennen lernt. Und somit konnte sich Tom Cruise in mein Herz zurück tanzen und zeigte selbst J Lo bei den MTV Movie Awards 2010, wo der Tanzhammer hängt.
Ein Mann mit vielen Fassetten
Ob "Top Gun", "Minority Report", "Rain Man", Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" oder "Jerry Maguire – Das Spiel des Lebens", Tom Cruise ist scheinbar in jedem Filmgenre zu Hause - und jeder von uns kennt die Mehrzahl dieser Produkte. Damals, als Vampire noch Klasse hatten und mysteriös waren, konnte man ihn als Lestat de Lioncourt an der Seite Brad Pitts und Kirsten Dunsts in „Interview mit einem Vampir“ bewundern; als Jack in Ridley Scotts „Legende“ neben Tim Curry aka. Dr. Frank’N’Furter oder als Top-Agent Ethan Hunt der „Mission:Impossible“-Reihe.
Nicht nur in Actionfilmen und Thrillern kann man auf das talentierte Händchen des Schauspielers vertrauen, er hat auch Humor - die Art von Humor, die man in Hollywoodgrößen gerne sieht – eine sich selbst nicht allzu zu ernst nehmende Art. Wussten Sie beispielsweise, dass Comedian Ben Stiller 2000 als Tom Cruises Double in "M:I 2" fungierte? Ein Video, das damals bei den MTV Movie Awards (die sich offensichtlich einen Narren an Tom Cruise gefressen haben) gezeigt wurde, zeigt das Stuntdouble Tom Crooze hinter den Kulissen des zweiten Mission:Impossible Teils ("Mission Improbable"). Genial. Und selbst um einen Gastauftritt bei „Austin Powers – Spion in geheimer Missionarsstellung“ (1999) war sich der Schauspieler nicht verlegen.
Und nun kommt Jack Reacher. Zielgenau und gnadenlos.
Jack Reacher (T. Cruise) in Gewahrsam, © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Der Attentäter
Auf den Straßen einer Kleinstadt in Indiana werden bei einem grausamen Massaker fünf Menschen kaltblütig erschossen. In dieser ersten Szene des Filmes bekommt man mehr zu sehen, als man eigentlich wollte: Ein Scharfschütze schießt scheinbar wahllos auf jeden, der sich zufällig an diesem Ort befindet. Gewalt gegen Kinder bekommt man in Filmen wirklich nicht oft zu sehen, was natürlich seine Gründe hat. Grausamkeiten dieser Art werden natürlich sofort heftig diskutiert und angeprangert – wer sieht so etwas schon gerne? Obwohl man den todbringenden Schuss nicht direkt zu Gesicht bekommt, sondern es der Fantasie des Zusehers überlassen wird, wie es ausgeht, stößt das schon unangenehm auf. Nur sehr mutige Regisseure wagen sich daran heran, einen Kindertod direkt zu zeigen und auch nur dann, wenn es für die Erzählung wirklich notwendig ist. Ich denke da zum Beispiel an Michael Hanekes "Funny Games", in dem der Zuseher urplötzlich mit dem gewaltsamen Tod des Sohnes der Familie konfrontiert wird.
Jack Reacher, der Geist
Anfänglich scheinen nun alle Indizien zweifelsfrei gegen den ehemaligen Armee-Scharfschützen James Mark Barr (JOSEPH SIKORA), zu sprechen; von Fingerabdrücken, über passende Projektile bis zu krimineller Vorgeschichte ist alles vorhanden. Der Schütze selbst befindet sich zwar in Polizeigewahrsam, gibt aber wider Erwarten kein Geständnis ab. Nicht einmal antworten will er den Ermittlern – während des Verhörs durch Detective Emerson (DAVID OYELOWO) und im Beisein des Bezirksstaatsanwaltes Rodin (portraitiert vom wunderbaren RICHARD JENKINS) hat er nur einen Wunsch, den er zu Papier bringt: „Get Jack Reacher“.
Wer ist dieser mysteriöse Jack Reacher? Eine gute Frage, die die beiden Ermittler anfänglich nicht zu beantworten wissen – Jack Reacher kann von dir nicht gefunden werden, er findet dich. Und hier fängt es an, interessant zu werden. Während man noch die beiden, Rodin und Emerson, sich darüber unterhalten hört, wie sie es wohl schaffen könnten, den rätselhaften Mann ausfindig zu machen, der wie ein Geist umherzieht, den Kopf bedeckt hält und von dem man außer seiner kurzen Karriere in der U.S. Army nichts weiß, klopft es schon an der Türe – „Ein Jack Reacher ist hier, Sie zu sehen.“ So verblüfft, wie die beiden aus der Wäsche sehen, ist auch der Zuschauer und muss natürlich darüber lachen.
Jack Reacher, Bezirksstaatsanwalt Rodin und Detective Emerson, © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Im Krankenhaus, in dem sich der Attentäter James Barr im Koma befindet, nachdem er in Haft zusammengeschlagen wurde, trifft Reacher auf Barrs Rechtsvertreterin und Tochter des Bezirksstaatsanwaltes, Helen Rodin (ROSAMUND PIKE), die den Ex-Offizier nach längerem Überreden zum führenden Ermittler macht. Denn wie sich herausstellt, haben die beiden Männer eine Vorgeschichte: James Barr hatte während des Golfkriegs vier Menschen ermordet und war lediglich aus politischen Gründen nicht verurteilt worden. Damals hatte Reacher geschworen, ihn dorthin zu bringen, wo er hingehört – hinter Gitter. Doch warum sieht Barr nach der jüngsten Schießerei in seinem erbitterten Erzfeind seine einzige Chance?
Da Jack Reacher anfangs fest davon überzeugt ist, in James Barr den Schuldigen gefunden zu haben, erscheint die Wahl Helens, ihn als Ermittler auf ihrer Seite einzusetzen, keine besonders einleuchtend Strategie. Die Pazifistin wolle lediglich einen objektiven Blick auf die Sache werfen und schließlich habe jeder Angeklagte das Recht auf ein faires Verfahren, so eindeutig die Sachlage für Außenstehende auch scheinen möge. Die Wahl des Einzelgängers mit dem Blick für das Wesentliche erweist sich im Laufe der Ermittlung dann doch als Schritt in die richtige Richtung. Schnell wird klar, dass es sich um einen nicht ganz so eindeutigen Fall eines Scharfschützen, der durchdreht und wahllos auf Leute schießt, handelt.
Reacher (T. Cruise) weiß sich zu verteidigen, © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Kiss Kiss, Bang Bang
Dass Tom Cruise die Mehrzahl seiner Stunts – ob in Mission:Impossible, Jack Reacher oder Minority Report – selbst machen will und auch macht, ist insofern beeindruckend, da der Mann immerhin schon 50 Jahre alt ist. Und die Kampf- und Actionszenen in JACK REACHER sind in der Tat bemerkenswert. Ebenso schaut die verdutzte Rosamund Pike nicht schlecht, als ihr von einem shirtlosen Tom Cruise die Türe aufgemacht wird. Immerhin habe er kein Gepäck, nur ein Set an Kleidung, dass er eben jeden Tag waschen müsse, sagt er.
Gut choreografierte Kampfszenen, die natürlich mit einem Augenzwinkern, also nicht allzu ernst, aber gerade ernst genug, genommen werden müssen, sind das A und O eines guten Actionfilmes. So verprügeln sich zwei Schläger, die, voneinander unabhängig, noch eine offene Rechnung mit Jack Reacher haben und den unberechenbaren Einzelgänger aus dem Weg räumen wollen, gegenseitig, statt die Person, auf die sie es eigentlich abgesehen hatten. Statt Reacher auszuschalten, treffen die beiden in den engen Räumlichkeiten eines Badezimmers alles außer das eigentliche Ziel, bis sich die beiden endlich einigen können, wer zuerst an der Reihe ist – „I got this!!“ – überraschter haben Sie Tom Cruise noch nicht gesehen.
Aber nicht nur Dilettanten haben es auf Reacher abgesehen. Aufgrund unglücklicher Entwicklungen beginnt auch die Polizei, den Ex-Militärermittler zu jagen. Der von Anfang an gegenüber Reacher misstrauische Detective Emerson setzt nun alles darauf, ihm das Handwerk zu legen. Lange Rede kurzer Sinn, alle sind nun gegen Reacher.
Ebenso wie sämtliche Nahkampfszenen, wurde die obligatorische Autoverfolgungsjagd durch enge Gassen mit viel Humor ausgearbeitet und umgesetzt. Da Reacher von allerhand Polizeiwägen verfolgt wird und kein baldiges Ende dieser Verfolgungsjagd in Sicht ist, entschließt er sich kurzerhand dazu, aus dem rollenden Auto zu steigen und sich in einer Gruppe auf-den-Bus-Wartender (lustig: Richtung Squirrel Hill) zu verstecken. Dort leiht ihm ein Mann ohne Worte seine Kappe und ebenso wortlos steigen die beiden in den Bus, um dort mit einem breiten Grinsen dem fluchenden Emerson zu entkommen.
Jack Reacher (T. Cruise), © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Fun, fun, fun!
Überhaupt hatte der Film etwas ganz Besonderes, das vielen Actionfilmen heutzutage fehlt, nämlich kam der komödiantische Aspekt nicht zu kurz. Nichts ist langweiliger, als ein Actionfilm, der sich zu ernst nimmt – so ist JACK REACHER ganz anders, als erwartet. Ein erneutes Ansehen des Trailers lässt mich ein zweites Mal über Dinge lachen, die schon im Film selbst sehr lustig waren. Ich hoffe nur, dass auch mit nochmaligen Ansehen des Filmes nichts von dessen Charme verloren gehen wird.
Faszinierender Weise kommt Reacher auf weite Strecken ohne Feuerwaffe aus, ganz zum Vorteil der Actionsequenzen, die natürlich beachtlicher sind, wenn statt Herumballern weitgehend Nahkampfszenen in den Film eingebaut werden. Dies hält sich bis zum Ende des Filmes, wo er selbst für den Showdown vom Kriegsveteran Cash (überraschender Auftritt von Hollywood-Urgestein Robert Duvall!) kein Präzisionsgewehr, sondern ein Messer in die Hand gedrückt bekommt.
Erstaunlich ist, dass es in den letzten Jahrzehnten neben John Grisham Romanverfilmungen nur wenig Gutes in puncto Thriller im Kino zu sehen gibt. Autor Lee Child und Drehbuchautor Christopher McQuarrie setzen dem nun ein Ende. JACK REACHER kann sich, was gut ausgearbeitetes Drehbuch und interessante Storyline betrifft, gut und gerne mit Gerichtsthriller wie Der Klient, Das Urteil und Die Firma vergleichen. Selbst Alex Cross könnte es nicht mit Jack Reacher aufnehmen. Was den Humor betrifft, gibt es hingegen nicht viel Vergleichbares. JACK REACHER verbindet mehrere Genres miteinander - Thriller, Action, Krimi und Komödie.
"The Zec" (Werner Herzog), © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Uhuhuh, I’m the bad guy
Es gibt offenbar nicht viele Nationalitäten, die in einem Hollywood Film den Bösewicht spielen dürfen. Wir haben entweder Deutsche, Russen (oder Sowjets) oder natürlich Engländer – nicht zu schweigen von Russen spielenden Engländern (Gary Oldman als Ivan Korshunov, "Air Force One"); Deutschen, die Sowjets spielen; deutschen Engländern (Alan Rickman als Hans Gruber, "Stirb Langsam") und nordischen Göttern mit Londoner Akzent (Tom Hiddleston als Loki, "The Avengers").
Im Falle von "JACK REACHER" haben wir es mit einer ganz besonderen Art von Bösewicht zu tun. Gespielt von Werner Herzog, also einem Bayern, der Inhaber des Großkonzern Lebendauer Enterprises, der einen offensichtlich deutschen Namen trägt, ist der Gegenspieler, der nur als „The Zec“ (übersetzt: „der Häftling/Gefangene“) bekannt ist und angeblich sowjetischer Herkunft sein soll. Dabei hat er einen Akzent, der für mich nicht nach Ostblock, sondern schlicht und ergreifend nach einem deutschen klingt. Das mag beabsichtigt gewesen sein, immerhin ist der Ursprung des „Zec“ nicht genau nachzuvollziehen, nicht einmal für ihn selbst – das einzige, woran er sich erinnern könne, sei, dass er Mensch und Gefängnis war; Namen habe er keinen (mehr).
Die Motive des Ex-Kriegsgefangenen sind klar, zumindest für ihn – „genug“ gibt es nicht; man nimmt sich, was es zu nehmen gibt – „Enough? We take what can be taken.” Dass der „Zec“ moralisch und seelisch schon längst nicht mehr normal ist, ist selbst für nicht-Eingeweihte klar sichtbar: Der Gefangene musste sich während seiner Haft in der Sowjetunion die eigenen Finger abkauen, um nicht an den Folgen der Vereisungen umzukommen. „Tue alles, was notwendig ist, um zu überleben“ ist seine Devise.
Begleitet wird The Zec von dem loyalen und ebenso moralisch verkommenen Scharfschützen Charlie (JAI COURTNEY), dem kein Weg zu brutal ist, um die Wünsche seines Bosses in die Tat umzusetzen. Dabei ist er mindestens genauso taff wie Reacher und so etwas wie ein ethisches Negativ des Ermittlers. Courtney, bekannt aus der historischen Actionserie "Spartacus", ist mit Sicherheit ein aufstrebender Star, und mich erinnert er ein wenig an Sam Worthington, wenn auch in etwas düsterer Ausführung. Jai Courtney wird uns nächstes Jahr als John McClanes Sohn Jack im kommenden neuen Teil der Stirb Langsam-Reihe ("A Good Day to Die Hard") begegnen - in dem wir es mit einem russischen Gegenspieler zu tun haben werden. Mein oben ausgeführter Gedankengang bezüglich Bösewicht-Nationalitäten hat sich somit einmal mehr als wahr herausgestellt (was nicht beabsichtigt war, sondern sich während des Schreibens des Artikels herauskristallisiert hat). Und so schließt sich der Kreis.
Charlie (J. Courtney), Reacher (T. Cruise) liefern sich ein Faustkampfduell, © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
Jack Reacher ist kein Held
Reacher: You think I'm a hero? I am not a hero. And if you're smart, that scares you. Because I have nothing to lose.
Jack Reacher hat zwar nichts zu verlieren, die holde Jungfrau muss aber dennoch aus den Fängen des Bösen gerettet werden. In diesem Falle ist das die smarte Helen, die natürlich entführt wird, um als Druckmittel eingesetzt zu werden. Selbstbewusst und sympathisch, ist Helen Rodin das perfekte Pendant zu Reacher – die beiden haben von Anfang bis Ende eine enorm faszinierende Chemie, die sich positiv auf mein Kinovergnügen auswirkte.
Reacher: “Are you smart?” Helen: “Obviously.”
Ebenso das Vater-Tochter-Verhältnis der Rodins gebiert einige sehr lustige und interessante Szenen, da sich die beiden offensichtlich vor einiger Zeit zerstritten haben und nun seit langem wieder einmal, wenn auch notgedrungen, miteinander interagieren. Die Motive des Bezirksstaatsanwaltes sind bis zum Ende unklar, auch wenn ab und zu so manche Beschützerinstinkt-Momente durchscheinen, von denen sich Helen natürlich eher herablassend behandelt denn beschützt fühlt. Den Vater beschimpfende Töchter sieht man zwar nicht oft, aber immer wieder gerne.
Rodin (to Emerson): “I think she’s telling the truth.”
Helen: “You think? Dad, fuck you!”
Helen (R. Pike) und ihr Vater Rodin (R. Jenkins) im Streit, © 2011 Paramount Pictures. All Rights Reserved.
… und die Moral von der Geschicht’
Es gibt keine. Weder macht Jack Reacher eine persönliche Entwicklung durch, noch gibt es einen „Schluss“ für ihn. Er geht so abrupt und ungefragt wie er gekommen ist; der Job ist getan, und das wars. Aber das macht rein gar nichts, so freut man sich auf das, was noch kommen mag – sollte es da etwas geben. Sollte es an den Kinokassen angemessen klingeln, wird es mindestens eine Fortsetzung geben.
Man kann nur hoffen, dass es von den insgesamt 17 Büchern, die New York Bestseller Autor Lee Child bis dato erschuf, noch einige auf die Kinoleinwand schaffen werden. Aber bitte auf jeden Fall mit Tom Cruise in der Hauptrolle! Schauspielerwechsel haben, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, nur dann Sinn, wenn die Vorgänger es nicht geschafft haben, einer Rolle Leben einzuhauchen. Ich denke da an Tyler Perry als FBI-Ermittler Alex Cross, der einen wundervollen Morgan Freeman ablöste und eine einst interessante Figur zunichtemachte. Im Gegensatz dazu ist Mark Ruffalo („The Avengers“, 2012) nun endlich der Hulk-Darsteller von dreien, der in mehr als einer Marvel-Verfilmung als grüner Koloss zu sehen sein wird. Eric Bana („Hulk“, 2000) und Edward Norton („The Incredible Hulk“, 2008) haben dies nicht geschafft.
Umso besser, wenn ein Buchcharakter durch einen Schauspieler Leben eingehaucht bekommt; genauso, wie sich das sowohl der Buchautor als auch das Publikum vorstellen.
Die Chemie stimmt, die Story passt, man hat ein perfektes Team – nun steht einer Erfolgsserie JACK REACHER nichts mehr im Wege.