Noah Gordons Bestseller auf 848 Seiten - Der Medicus, im Original "The Physician" - traut sich am 25. Dezember 2013 auf die heimischen Kinoleinwände.
Als wir durch Zufall erfuhren, dass dieser Megaschinken, den wir zuletzt vor Jahren in Händen gehalten und bewundert haben, verfilmt werden soll, konnten wir es natürlich kaum erwarten. Münchner Regisseur Philipp Stölzl (Nordwand, Goethe!, Die Logan Verschwörung) zeigt uns, dass nicht nur Filmemacher jenseits des großen Teiches gute Filme, interessante Inszenierungen und spannend umgesetzte Romanverfilmungen entwerfen können.
Blasphemie!
Noah Gordons Abenteuer, das sich im dunklen Mittelalter abspielt, ist der erste Teil einer Trilogie, welcher sich um (anfangs noch nicht) Medicus Robert Cole und dessen Familie dreht. Diese spannende Geschichte eines Jungen, dann jungen Mannes, welcher sich nicht mit seiner Lage zufrieden gibt und die Geheimnisse des menschlichen Körpers lüften will, wird detailiertest beschrieben und ist dennoch niemals langweilig. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung des Berufes Arzt, die durch religiöse Entwicklungen unterdrückt wurde und sich erst re-etablieren musste - wie im "Prolog" des Filmes beschrieben, gingen die Erkenntnisse des römischen Reiches verloren und mussten erst wieder entdeckt und neu betrachtet werden - mit dem Hintergrund religiöser Strömungen, die es zu verhindern wussten, die Anatomie des Körpers weiter zu untersuchen.
Dann gibt es so Freigeister wie den englischen Waisenjungen Rob (Tom Payne), der mithilfe des Barbiers, portraitiert von unserem Lieblingsschweden Stellan Skarsgård (
The Girl with the Dragon Tattoo,
The Avengers,
Good Will Hunting uvm) einen neuen Start ins Leben bekommt. Nichts sehnlicher wünscht sich Rob, als Menschen zu helfen, wenn er schon das Leben seiner Mutter nicht retten konnte. Es wird dem Zuschauer im Laufe des Filmes immer wieder bewusst, wie tödlich eine so simple Sache wie eine Blinddarmentzündung sein kann, wenn man sich nicht zu helfen weiß. Die nur als "side sickness" bezeichnete Krankheit ist in aller Munde und von allen gefürchtet - nur die letzte Ölung kann da noch helfen. Doch nicht mit Rob - der möchte sich auf den Weg in den Orient machen, um dort bei dem berühmten
hakim Ibn Sina (Ben Kingsley) Medizin zu studieren uns so Menschen vor der side sickness und anderen Leiden zu befreien.
Da wäre nur ein kleines Problem...
Blöd nur, dass im Persien des 11. Jahrhunderts keine Christen geduldet werden. Und so muss sich der junge Rob als Jude ausgeben, um es zumindest lebend nach Persien zu schaffen. Dies bereitete in unserer Erinnerung dem Rob der Literaturversion ein wenig mehr Schwierigkeiten, als dem Rob der filmischen Umsetzung. Schon gar nicht konnten wir uns an eine Selbstbeschneidung des jungen Mannes in Noah Gordons Buchvorlage erinnern, aber immerhin ist es schon Jahre her. Möglicherweise hat uns da unser Gedächtnis einen kleinen Streich gespielt, oder Stölzl entschied sich bewusst für etwas mehr blutige Dramatik. Überhaupt kam das Thema der jüdischen Religion, welches uns im Buch eindeutig präsenter vorkam, etwas zu kurz.
Dass es schon einige Zeit zurück liegt, dass wir uns das Buch "Der Medicus" zu Gemüte führte, hat aber durchaus auch seine Vorteile. Nichts ist enttäuschender, als sich das Eine vorzustellen und etwas völlig anderes in der Verfilmung zu bekommen. Da kommt es uns gelegen, dass wir uns nicht so recht erinnern können und außerdem müssen sich Buch und Film doch unterscheiden. Niemand möchte ewig lange Beschreibungen eines Ortes in einem Film auch ebenso lang ansehen.
3, 2, 1 - Action!
In diesem Aspekt hat "Der Medicus" den Nagel eindeutig auf den Kopf getroffen. In puncto Actionsequenzen kann den Amis niemand so schnell das Wasser reichen. Oder vielleicht doch? In Stölzls neuestem Werk stimmt die Balance zwischen Ruhephasen und Actionszenen einfach perfekt. Nicht zu viel, sodass man gar nichts mehr sieht und auch nicht zu wenig, einschlafen werden Sie in diesem Film mit Sicherheit nicht. Vom Anfang bis zum Ende können wir die Augen nicht vom Bildschirm lassen und müssen beim Nachrichten-Check des iPhones feststellen: Es sind zweieinhalb Stunden vergangen!
Wenn wir mit dem Hobbit vergleichen, den es seit gestern im Kino spielt, sind hier Action und Computergeneriertes eindeutig besser ausgewogen. Manchmal ist zu viel einfach zu viel.
Talente, alte Bekannte und neue Gesichter
Uns fällt vor allem auf, dass es wenig Hollywoodgrößen in den neuen Actionblockbuster geschafft haben, was uns absolut begeistert! Wir kennen in dem ganzen Stück nur drei Schauspieler und das ist so erfrischend, dass wir gar nicht anders können, als dieses Stück Film weiterzuempfehlen. Sir Ben Kingsley muss sich nicht mal über den Faux-Pas des Mandarin (Gegenspieler in "Iron Man 3") Gedanken machen, der Gandhi-Darsteller wird immer einer der Besten und Beliebtesten bleiben und wertet jeden Film auf - dabei ist "Der Medicus" keine Ausnahme. Stellan Skarsgård haben wir ja schon erwähnt und werden es immer wieder tun; wir bekommen nicht genug.
Ein überraschend guter Oilivier Martinez (bisher kannten wir ihn mehr als Ex von Halle Berry als als Schauspieler) ist Nummer Drei der bekannteren Gesichter und kann als Shah Ala ad-Daula mehr als überzeugen - wie auch der Rest des Casts. Newcomer Tom Payne geht so sehr auf in seiner Rolle als Rob Cole alias Jesse ben Benjamin, dass wir uns kaum einen anderen als Medicus vorstellen könnten.
Und da wäre noch...
...die obligatorische Liebesgeschichte. Die unmögliche Liebe zwischen Rebecca (Emma Rigby) und Rob in Form eines Liebesdreiecks, das dann beinahe in einer Steinigung der Ehebrecherin endet, wirkt weder forciert noch unglaubhaft. Manchmal etwas "cheesy", also klischeebeladen, aber durchaus unterhaltsam, spannend und natürlich. Die ebenso unbekannte Emma Rigby kann man seit 28. November neben Michael Fassbender, Penélope Cruz und Cameron Diaz in "The Counselor" bewundern.
Game of Thrones, Dr. House oder History Channel?
Der Medicus ist zwar aufgebauscht und actiongeladen, gibt aber einen kleinen Einblick in die Geschehnisse dieser Zeit - historische Gegebenheiten wie Gesundheits- und Hygienezustände und Krankheiten wie auch religiöse Praktiken und Beziehungen im dunklen Mittelalter - aus der Perspektive aller drei Hauptreligionen. Es war etwas überraschend, dass so mancher Zeitgenosse in diesem dunklen Abschnitt unserer Geschichte weitaus bessere Beißerchen hat, als man es sich vom Pöbel erwartet hätte. Natürlich braucht unser Hauptcharakter Rob wunderschöne Zähne - immerhin muss er die unglücklich Verheiratete Rebecca noch küssen!
Abgesehen davon sieht man einige Missstände wie Straßen voller Ratten, Amputationen, die von den Beteiligten als selbstverständlich hingenommen werden, fehlende Zähne und religiöse Unterdrückung u.v.m. - vielleicht nicht gerade zu 100% akkurat, aber immerhin glaubhaft genug.
Dr. Sexy, MD
Apropos Krankheiten: Der schwarze Tod, der unverhofft ausbricht und tausende Einwohner hinwegrafft, traubt Rob dazu, Hugh Laurie nachzuahmen und sich auf die Suche nach dem Erreger zu machen. Diesen findet er auch - die Flöhe - und rettet durch Ausrottung der Ratten den Tag, bis kein einziger Krankheitsfall mehr übrig bleibt. Die faszinierende Art und Weise und die Begeisterung des jungen angehenden Arztes lässt uns bisweilen fast glauben, wir befänden uns in einer Folge von Dr. House.
Nun entschließt sich Rob entgültig dazu, eine Obduktion durchzuführen - an einem verstorbenen Patienten, dem entgegen dem Rest der streng religiösen Einwohnerschaft nichts am Erhalt seines Körpers nach seinem Tod liegt, versteht sich - um so den menschlichen Körper eingehend studieren zu können. Was bittere Konsequenzen nach sich ziehen wird..
Noch nie waren Krankheiten so spannend!
Sabine Stenzenberger
Bildmaterial: © 2012 UFA Cinema GmbH
Besetzung: Tom Payne, Stellan Skarsgård, Olivier Martinez, Emma Rigby, Elyas M’Barek und Ben Kingsley
Regie: Philipp Stölzl
Basierend auf dem Roman von: Noah Gordon
Drehbuch: Jan Berger
Produzenten: Wolf Bauer, Nico Hofmann
Ausführender Produzent: Sebastian Werninger
Weitere Bilder in der Diashow!
Hier gehts zum Trailer