Keine der komischen Opern kennt so viele Solisten wie diese – „Il viaggio a Reims“. Selten wird diese für die Ergötzung des sicher anspruchsvollen Publikums auf der Bühne präsentiert. Um so mehr Gedränge gab es nach Graz, als die Opernliebhaber davon erfahren haben, dass sich der Regisseur Bernd Mottl dieser Herausforderung gestellt hat. Man sieht, dass ihm diese Aufgabe leicht von der Hand gegangen ist. Unter dem Dirigentenstab von Oksana Lyniv und den Stimmen von unter anderen Tetiana Miyus, Sonja Šarić, Wilfried Zelinka, Ivan Oreščanin, David McShane wurde die komische Oper „Il viaggio a Reims“ auf ein hohes musikalisches Niveau gehoben.
Der Name der komischen Oper täuscht, denn übersetzt heißt „viaggio“ eine Reise, was in diesem Stück keinesfalls vorkommt, sondern bleiben die adeligen Gäste im Kurhotel „Zur Goldenen Lilie“ gefangen und dies buchstäblich, denn die Reise nach Reims wird unter kuriosesten Umständen abgesagt - weil keine Pferde mehr zu finden sind. Die europäischen Gäste und nebenbei Ausnahmetalente fühlen sich in der Badeanstalt wie ein Elefant im Porzellanladen. Doch nun haben sie endlich Gelegenheit dazu, sich unter das Scheinwerferlicht zu stellen und ihren Charme, ihr Charisma und Talent unter Beweis und vor allen zur Schau zu stellen. Vor allem sind das die Solisten Tetiana Miyus, Sonja Šarić, Wilfried Zelinka, Ivan Oreščanin, Elena Galitskaya,
Anna Brull, Pavel Petrov, Miloš Bulajić, Neven Crnić, Martin Simonovski und Martin Fournier, die an der Grazer Oper jeweils eine Arie singen und so das Publikum begeistern. Die Arien sind in kleine szenische Episoden verwickelt, die oft einer nicht entsprochenen Liebe gewidmet sind. Während die Frauen unantastbare und unerreichbare Schönheiten spielen, die, auch wenn sie vor Verlangen verglühen, immer noch standhaft bleiben, versuchen die Männer, Eroberer zu sein. So ist Cavalier Belfiore (Pavel Petrov) heimlich in Corinna (stimmlich gewaltig von Tetiana Miyus verkörpert) verliebt. Sobald er ihr seine Liebe gesteht und sie diese nicht erwidert, will er sich sein Leben nehmen, was allerdings in krampfhaft lächerlichen Versuchen endet.
Conte di Libenskof (Miloš Bulajić) und Don Alvaro(brillant von Ivan Oreščanin gespielt) sind beide Verehrer von Marchesa Melibea(Anna Brull). Während beide Herren im Duell der Marchesa sich beweisen wollen, was Conte di Libenskof geschickter macht als Don Alvaro, dem die Erde unter den Füßen schwindet, wünscht sich die edle Dame nur das eine: dass beide ihr zu Füßen liegen. Im Endeffekt entscheidet sie sich doch für Conte di Libenskof, dem sie noch eine Lektion erteilt, weil er sie der Unehrlichkeit bezichtigt hat. Diese beinahe „Fifty-Shades-of-Grey“-Szene, stimmlich großartig umwoben, erfährt einige geplante Fauxpas und endet schließlich in einem Happy-End á la Hollywood.
Und dann ist da noch die extravagante modenärrische Französin Contessa di Folleville (entzückend von Elena Galitskaya verkörpert), die jede Kleinigkeit in Ohnmacht bringt und diese ihr leider viel zu oft passiert. Zuerst schafft es ihre Kutsche nicht zum Kurhotel und dann wird sie in der Badeanstalt gefangen, was ihr das Herz bricht. So leicht sie aus ihrer Ruhe zu bringen ist, so leicht kann sie diese wieder finden: ein kleiner Hut, gefangen im riesigen Karton, rettet den Tag. Ihr zur Seite steht Lord Sidney (brillant von Peter Kellner verkörpert). Lord Sidney, ein Frauenschwarm und ein Frauenkenner, wird als ein sich in Design und Mode auskennender Homosexueller präsentiert.
Großartig ist das Duo der Harfenistin Christine Heger und der Sopranistin Tetiana Miyus. Beide verschmelzen ineinander und verzaubern das Publikum mit großartigen Klängen. Beruhigend und zauberhaft wirkt die Musik.
Doch nicht nur die Hauptdarsteller haben auf der Bühne ihren großen Auftritt. So sind Maddalena (Andrea Purtić), Antonio (David McShane) und Don Prudenzio (Martin Simonovski) ein großartiges Bösewicht-Trio, das von der hohen Gesellschaft und deren anspruchsvollen und herausfordernden Wünschen überfordert ist und diese so schnell wie möglich loswerden will.
Einen ganz großen Auftritt hatten zwei Herren, die den Stier symbolisierten, der Europa entführt hat. Auch wenn die Choreographie nicht ganz verständlich war, so war das auch ganz egal, da alle auf die mit Gold bestreuten Waschbrettbäuche, die muskulösen Ober- und Unterarme und die knappen, ebenfalls mit Gold bestreuten Badehosen konzentriert waren. Ein Beweis dafür war der üppige Applaus.
Wer den Sinn und die Sinnhaftigkeit des Stückes sucht und die kleinen Puzzles aus einzelnen Szenen zusammenzustellen versucht, verzweifelt. Denn das Stück bietet zuviel des Guten. Man findet sich am Ende verloren an Inhalt und Sinn der komischen Oper. Auf der anderen Seite bringt das gewisse Vorzüge, denn jede Arie, jeder einzelne Aufritt eines/einer der Solisten/der Solistin bleibt ein Feuerwerk aus Gesang, Schauspiel, Emotion und viel Humor. Der Jungredakteur Jordan, 7 Jahre alt, konnte sich vom bunten Treiben nicht lösen und war von der Musik und den Stimmen verzaubert.
Ein ereignisvoller Abend mit bezaubernder Musik von Gioacchino Rossini mit gewaltigen Stimmen. Und da es nur so selten gespielt wird, lohnt sich ein zweiter Blick in die Oper auf jeden Fall!
vs
Fotos: Werner Kmetitsch