23.01.2012 |
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Candide
Über die Aufklärung und den Sinn des Lebens
Die Konzertfassung der Comic Operetta aus dem Jahre 1993 mit Musik von Leonard Bernstein feierte gestern ihre Premiere in der Volksoper Wien. Den gefüllten Reihen nach zu urteilen wollten sich viele diese Premiere nicht entgehen lassen – zu recht. Sowohl Solisten als auch Chor begeisterten mit ihren Stimmen, besonders Cunegonde (Jennifer O’Loughlin) und die „Old Lady“ (Kim Criswell) zogen das Publikum in ihren Bann und ernteten dafür auch mächtig Applaus.
Die leichte anfängliche Skepsis, ob die konzertante Darbietung eines musicalähnlichen Werkes wohl der herkömmlichen Variante in puncto Unterhaltungswert das Wasser reichen kann, wurde in den ersten paar Minuten zerstreut. Durch den Erzähler (Robert Meyer) wurden die ZuhörerInnen in alle möglichen Teile der Welt entführt und in die verschiedensten Geschehnisse hineinversetzt, er fügte die musikalischen Darbietungen zu einem satirischen und gleichzeitig unterhaltsamen Ganzen zusammen.
Candide (Stephen Chaundy) wandert seinem Namen entsprechend arglos (und nicht ganz freiwillig) in die Welt hinaus, um dort zu erkennen, dass er vielleicht doch nicht in der „besten aller möglichen Welten“ lebt und dass Leid nicht unbedingt etwas Gutes sein muss, so wie es ihn sein Lehrmeister Pangloss (Morten Frank Larsen) immer wieder gelehrt hatte. Er muss fort von Westfalen, aus dem „schönsten aller Schlösser“, weil er sich die Tochter des Barons zur Herzensdame zu nehmen gedacht hatte, was diesem jedoch missfiel. Nach allerlei möglichem und unmöglichem Unheil, das Candide und Cunegonde in den folgenden Jahren wiederfährt, gibt es für die beiden ein gemeinsames Ende in der Erkenntnis des Sinnes des Lebens – nämlich fernzusehen und sich von naturbelassenem selbstgezogenen Gemüse zu ernähren. Kein Wunder also, dass sich Stadtmenschen mit dem Sinn des Lebens ein wenig schwer tun, denn so ganz ohne eigenen Gemüsegarten…
Diese Comic Operetta stammt ursprünglich aus der Feder des französischen Philosophen und Aufklärers Voltaire, der mit bissiger Ironie gegen die Gottergebenheit der damaligen Zeit wettert. Nicht broadwayfähig, wurde das Stück mehrmals von Bernstein neu bearbeitet und etablierte sich letztendlich in der konzertanten Form. So richtig salonfähig wurde es 1999 von Loriot gemacht und zwar mit den publikumsfreundlichen verbindenden Texten.
Resümee des Abends: Man darf sich seine Gedanken zu dem Gehörten machen und es in beide Richtungen kritisch überdenken – muss es aber nicht (außer man möchte Voltaire nicht kränken, er würde sicher darauf bestehen), denn man kann den Abend auch einfach so, mit vorprogrammiertem Schmunzeln auf den Lippen, sich ganz dem Genuss der schönen Stimmen und der flinken Finger der Musiker (unter dem Dirigenten Joseph R. Olefirowicz) hingebend, genießen.
MirjamG
Fotos: Barbara Palffy/Volksoper Wien