Die Erwartungshaltung der Gesellschaft ist klar.
Reden Sie öfter mal über Sex, Orgasmus und Ehe? Über letzteres wohl noch am ehesten? Tatsache ist, dass vielen das Reden über Sex und Orgasmus peinlich ist. Auf die Frage, was wichtiger ist, Ehe oder Orgasmus, antworten viele: die Ehe. Wenn ein Großteil der Befragten wüsste, dass ein Großteil der Frauen keinen Orgasmus hat, würde die Abstimmung vielleicht anders ausgehen.
Sex mit Orgasmus oder der Wunsch nach Nähe?
Viele Frauen geben an, der Orgasmus sei nicht so wichtig, viel wichtiger seien die Gefühle, den Anderen zu spüren, die Nähe und eine Beziehung. Wenn der Partner fragt, ob man einen Orgasmus hatte, antworten viele: „Nein, aber Hauptsache du bist bei mir“. Diesen Frauen ist es oft peinlich, über Sex und Orgasmus zu reden, denn wer will schon zugeben, dass es der Partner nicht bringt?
Eine von Durex weltweit durchgeführte Studie zur sexuellen Zufriedenheit bringt interessante Erkenntnisse: 60% der Befragten geben an, das Sex Spaß macht und wichtig für die Gesundheit ist. Aber nur 44% sind mit ihrem Liebesleben zufrieden. In der Liste der Faktoren, welche die sexuelle Zufriedenheit fördern, ist unter anderem die Fähigkeit, zum Orgasmus zu kommen, angegeben. Was allerdings physikalisch ein Unsinn ist: Jeder physisch und psychisch gesunde Mensch hat die Fähigkeit, zum Orgasmus zu kommen. Allerdings fehlt vielen die Fähigkeit zur ehrlichen Kommunikation, sprich dem Partner zu sagen, was man will, und so befriedigt zu werden.
Bei der Studie geben 48% an, dass sie normalerweise zum Orgasmus kommen. Doch was heißt „normalerweise“? Weltweit kommen doppelt so viele Männer regelmäßig zum Orgasmus wie Frauen. Dieser riesige Unterschied müsste doch die Frage aufwerfen, warum dies so ist.
Der Wunsch nach Nähe ist ein wichtiges Kriterium beim Sex und wird dem Orgasmus vorgezogen. Diese Einstellung rührt allzu oft von fehlender Mutter-Kind Nähe in der Kindheit her und hängt einem ein Leben lang nach, ist allerdings nicht mit einander zu spüren zu verwechseln, was ein wichtiger Bestandteil der Sexualität ist. Dass der weibliche Orgasmus wichtig und gesund für die Frau und für den Mann und somit auch für die Beziehung ist, ist auch kein Geheimnis*.
Scheidung – ein Gesellschaftsphänomen
Das eigentliche Problem ist jedoch wie so oft die Gesellschaft. Von Kindheit an nistet sich in uns der Wunsch nach dem Traumprinzen, der Traumhochzeit und der Traumehe ein. In der Realität jedoch sieht es anders aus. Beinahe jede zweite Ehe in Österreich wird geschieden. Im Jahre 2007 erreichte die Gesamtscheidungsrate den bisher höchsten Wert seit dem Beginn der Erhebungen der Statistik Austria: 49,5%!
Die Einstellung zum Sex
Parallel dazu wachsen wir mit der Vorstellung auf, das erste Mal müsse weh tun, es könnte schief gehen usw. Außerdem spielt der Gruppenzwang besonders bei jungen Menschen, die ihre Sexualität gerade erst entdecken, eine wichtige Rolle. Da darf sich niemand wundern, dass, wenn man als junge Frau einfach irgendeinen Partner wählt, um der Gruppe gerecht zu werden, dazu noch die Einstellung hat, man sei eigentlich noch zu jung, und davon ausgeht, es werde weh tun, dass es dann tatsächlich unangenehm wird.
Dann ist es auch durchaus logisch, dass man sich nicht einen Orgasmus, sondern eine Ehe wünscht. Der Orgasmus ist in der Gesellschaft nicht wichtig. Eine Ehe ohne zufriedenstellendes Sexualleben kann jedoch nicht funktionieren. Die Widersprüche schreien geradezu nach Aufmerksamkeit, doch werden sie laut stöhnend von der Pharmaindustrie (die mit der Unzufriedenheit der Menschen ihre Umsätze machen), den Scheidungsanwälten (die schließlich auch ihr Geld verdienen müssen) und den zahlreichen Herstellen von Hochzeitsutensilien (von der Kleidung bis zu den Blumen) erdrückt.
Interessant ist, dass es Frauen oft peinlich ist, darüber zu reden, Männer jedoch in der Regel der Meinung sind, dass Ehe ohne Orgasmus ja gar nicht funktionieren kann. Meinen diese Männer nur ihren Orgasmus oder auch den der Partnerin?
(kh)
*Siehe Artikel: „Orgasmuslosigkeit der Frau“, „Der Orgasmus – Gesund für Körper und Seele“ auf die-Frau.at