02.08.2011 |
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Soundtrack einer Auswanderung
Naked Lunchs musikalische Neu-Interpretation von Kafkas „Amerika“
Die Klagenfurter Indie-Rockband Naked Lunch braucht sich wirklich nicht nachsagen lassen, große Herausforderungen zu scheuen. Denn nicht anders als äußerst ambitioniert ist es zu bezeichnen, Kafka einer musikalischen
Neuinterpretation zu unterziehen – so geschehen am Klagenfurter Stadttheater im März 2011 mit Kafkas Romanfragment „Amerika“.
Die Bühnenfassung von „Amerika“ entstammt der Feder des Kärntner Künstlers Bernd Liepold-Mosser, der in Folge auch Regie führte, den Part des Protagonisten Karl Roßmann übernahm Robert
Stadlober – und Naked Lunch fiel eben die Rolle zu, zur Umsetzung
dieses sperrigen Stücks Literatur die Musik beizusteuern. Die gute
Nachricht für alle, die (wie ich) dieses theatralische Gustostückerl
nicht live miterleben konnten: Der Soundtrack zum Stück (bzw. Buch) wurde
in weiser Voraussicht auch auf CD festgehalten und ist in limitierter Auflage im Handel erhältlich. Bleibt natürlich die bange Frage, wie denn nun zeitgenössisch vertonter Kafka klingen mag.
Vorab: Naked Lunch nehmen sich bei ihrer Interpretation des Bühnengeschehens so manche künstlerische Freiheit. Entstanden ist, nach eigener Aussage des Naked
Lunch-Masterminds Oliver Welter, nicht etwa bloße „Untermalungsmusik“ des Stücks, sondern ein Konzeptalbum, das als eigenständige Kunstform zu verstehen ist. Doch die großen Themen, um die es sich in „Amerika“ da wie dort dreht, bleiben natürlich erhalten, wie schon der erste Track des Albums eingänglich
demonstriert.
„Amerika“ ist die Geschichte eines Scheiterns in neun Episoden, gegliedert nach den neun Kapiteln des 1927 posthum erschienenen Romanfragments, denen Naked Lunch je einen eigenen Song widmen. Das sehnsüchtige „Let me walk upon the water“
bildet den Startschuss der Odyssee Karl Roßmanns, der sich mit allen
Hoffnungen und Ängsten konfrontiert sieht, die ein Neubeginn in
einem völlig fremden Land so mit sich bringt.
Denn der Protagonist ist auf Geheiß seiner Eltern unterwegs nach Amerika, wo die Unmöglichkeiten (des menschlichen Erfolgs) bekanntlich begrenzt sind. Dessen gewiss, denkt sich Naked Lunchs Roßmann beherzt: „Bring it on!“ – und zählt
sicherheitshalber auf, was ihm alles keine Angst macht, also, nicht
dass man glaubt.
Der Protagonist fühlt sich in jeder Hinsicht bereit
für Amerika. In diesem gelobten Land, von dem er nur sehr vage
Vorstellungen hat, ist das Gras bekanntermaßen grüner, hier können
Wunder geschehen, wofür das an Jesus gemahnende Auf-dem-Wasser-Gehen
die perfekte Metapher liefert: „Let me walk upon the water / with a
suitcase in my hand / to the other side, where the lights are bright
...“
Roßmann bittet das neue Land, in dem ein anderes, nämlich das gute, Leben beginnen soll, um wohlwollende Aufnahme, und ist sich sicher, dass ihm hier jede Gunst gewährt werden wird. Er ist voller Erwartungen – heute vielleicht
noch ein Fremder, wird er schon morgen gewiss ein Teil jener
Glücklichen sein, die den amerikanischen Traum leben. Und vor Ort
nicht zuletzt Geborgenheit finden: „Bring on arms that hold me
tight ...“
Doch wie sich schnell zeigt, ist die Reise ins vermeintliche Paradies noch nicht mit dem Ziel zu verwechseln. Traurige Tage, kalte Nächte, viel Lärm und grelle
Lichter setzen unserem heimwehkranken Helden zu, der aber beschließt,
sich zusammenzureißen und bei der Stange zu bleiben. Schließlich
ist diese Hölle Leben eine mehr oder weniger selbstgewählte („This Hell of Life“). In „Fight Club“ werden daraufhin eindeutig härtere Töne angeschlagen und die körperliche und
emotionale Versehrtheit des Protagonisten thematisiert, der sich nach
der erhofften Freiheit sehnt: „My feet, they don't walk / my hands
are so tired / see, this body of mine is locked in a cage ...“ Zahlreich sind die Qualen, die Roßmann zu erleiden hat. In „Tumble down“ ist er ganz geplagte
Künstlerseele, die einzig im Alleinsein das wahre Glück zu erleben
vermag, wie Naked Lunch (vielleicht aus eigener Erfahrung)
glaubwürdig vermitteln.
Wider Erwarten merkt man bald, das im Verlauf des Albums kaum eine kontinuierliche, zusammenhängende Geschichte erzählt wird. Musikalisch melodisch und eingängig, sind es in den poetisch geratenen Texten auf „Amerika“ vor allem Puzzleteile aus verstreuten Emotionen und wiederkehrenden Motiven,
die einen Klangteppich, ein Stimmungsbild erzeugen. Kennt man weder
Roman noch Stück, so gelingt es jedenfalls bestimmt nicht, in Naked
Lunchs kafkaesken Versatzstücken einen Plot auszumachen. Aber da wir
es ja mit einem Album zu tun haben, das ganz bewusst auch ohne Stück
funktionieren soll, ist dies wohl kein unbeabsichtigter Effekt.
Und wie beendet man die Neuinterpretation eines Fragments? Laut einer Notiz in Kafkas Tagebuch hätte am Ende des unvollendet gebliebenen Romans der Tod
Roßmanns stehen sollen. Naked Lunch schließen mit „Your last
waltz“ und lassen alles offen – Komödie, Tragödie, wer weiß.
Happy Ends sind machmal einfach eine Frage der Interpretation. Und
„Amerika“ gibt eben keine Antworten, sondern malt Bilder –
sentimental, düster, emotional und musikalisch immer auf dem Punkt.
Alles in allem ist „Kafka zum Nachhören“ eine gelungene
Operation. Schon allein, weil sie vielleicht den einen oder anderen
Musik-Fan dazu bringt, dann doch den Griff zum Buch zu wagen, um eine
Antwort auf die Frage zu erhalten, wie die Geschichte denn nun
wirklich beim Großmeister geschrieben steht.
Text: Daniela Herger
Bilder: © 2011 © Arnold Pöschl (monkey.music)