03.06.2010 |
Kommentare:
0
Ein Kind klagt seine Mutter an
Warum bleibt man angesichts kindlicher Sorgen und Ängste unberührt?
Mona Michaelsen beschreibt in ihrem Buch „Das Flüsterkind. Ein Brief an meine Mutter“ (2010 bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen) ihre Kindheit, die eine andere Wende nahm als die der anderen Kindern. Als Fünfjährige wurde sie von ihrem Stiefvater körperlich und psychisch missbraucht, wobei ihre Adoption vor ihr geheim gehalten wurde und ihre Mutter aus Unwissen und unter Druck ihr Einverständnis dazu gab. Die Mutter von Mona ignorierte die Hilferufe ihrer Tochter. Sie glaubte lieber ihrem Mann, anderen Kindern oder auch Fremden als der eigenen Tochter. Selbst nachdem das Kind von zuhause abgehauen war, hörte sie nur bittere Worte aus dem Munde ihrer Mutter: „Ich will dir mal was sagen, bereut habe ich was. Nämlich, dass ich dich damals nicht hab abtreiben können! Ich hab mir schon damals gedacht, dass ich mit dir nichts als Ärger haben werde. Von mir aus hättest du wegbleiben können, ich habe dich bestimmt nicht vermisst!“ Alle Hoffnungen auf Liebe und Zuneigung waren dahin. Genau wie ihre Geschwister Irma, Antje, Ulla, Paul und Nina war sie ein ungeplantes und unerwünschtes Kind. Ihre Anwesenheit wurde ständig als störend und lästig empfunden.
Ein Kind ist auf die Liebe, den Körperkontakt und die Wärme der Mutter angewiesen. Um selbständig und glücklich aufzuwachsen, brauchen Kinder ständigen Kontakt mit ihrer Mutter, sie müssen das Vertrauen zu ihr aufbauen können und das Wissen haben, dass sie bei ihr jederzeit erwünscht und willkommen sind.
Mona hat zwei vergebliche Versuche gemacht, ihrer Mutter von ihrem Missbrauch und danach dem Missbrauch ihrer kleinen Schwester zu erzählen. Nach dem ersten Gespräch gab es gewaltige Prügel und Beschimpfungen, sie würde lügen, nach dem zweiten Hilferuf wurde sie ignoriert.
die-frau.com sprach mit Frau Dr. med Julia Rüsch, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, über die Frage: „Was macht eine Frau, wenn sie oder ihr Kind geschlagen werden?“
Die Pflicht der Mutter ist es, das Kind gesetzlich und richterlich zu schützen. Was hat eine Frau, die geschlagen wird, zu tun? Flüchten! Sie geht weg, zeigt ihre Stärke und Möglichkeit, sich vor Schlägen und Gewalt zu schützen, erst dann hat sie die Fähigkeit, ebenso das Kind vor der Tyrannei zu schützen. Ebenso eine Frau, deren Kind ihr gesteht, es wird missbraucht, hat sofort Maßnahmen einzusetzen, wie wegzugehen.
Wem hat eine Mutter zu glauben? Sollten den Aussagen des Kindes weniger geglaubt werden, wenn sie den Aussagen des mutmaßlichen Peinigers widersprechen? Sollte eine Mutter die Wahrhaftigkeit der Behauptungen des Kindes hinterfragen? Die Antwort ist eindeutig: Nein!
Mona wurde von den Eltern eingeredet, dass die Erwachsenen immer im Recht sind. Sie hat sich gefügt. Lange Jahre fühlte sie sich schuldig und ihr war peinlich, was ihr angetan wurde. Hat ein Kind sich dafür zu schämen, was ihm angetan wird? Trägt es die Schuld dafür? Ganz sicher nicht.
Erst viel später konnte Mona ihre Angst überwinden und ihrem Peiniger Widerstand leisten. Sie wusste, es ist nicht ihre Schuld, und dergleichen passiert unter normalen Familienverhältnissen nicht.
Die psychischen und gesundheitlichen Folgen, die ebenfalls zu hormonellen Störungen führen, sind massiv. Mona Michaelsen ist introvertiert, geht schwer auf Menschen zu, leidet unter Übergewicht.
Das Buch, das Mona Michaelsen verfasst hat, ist nicht nur ein Brief an ihre Mutter, sondern vor allem ein Schreiben, das alle Menschen ansprechen und darauf aufmerksam machen soll, dass solche Geschichten in der unmittelbarer Umgebung mit Kindern passieren. Der Fall vom kleinen Evangelos, dessen Mutter vor dem tyrannischen Vater flüchtete, um sich und ihr Kind zu schützen, ist nur eines von vielen Beispielen.
„Die Folgen einer Trennung des Kindes von der Mutter reichen von psychischen bis daraus folgend hormonellen Störungen. Es sind Fälle bekannt, wo in ein Heim abgeschobene Kinder an Kinderdiabetes erkrankten“, so Dr. med. Julia Rüsch.
Auch in „Flüsterkind“ gibt die Untätigkeit und scheinbare Gleichgültigkeit des Jugendamtes, der Polizei und der Psychologin der anonymen Beratung für Jugendliche zu denken. Nicht einmal die Großeltern haben eingegriffen, obwohl sie das Elend des Kindes sehr deutlich gesehen haben. Warum passieren solche Dinge in unserer Gesellschaft immer noch? Und warum verschließt die Gesellschaft die Augen?
(vs)