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Wer will sau langweilig sein?
18.09.2010
„Danke für dieses schöne Bild! Wie konntest Du nur wissen, dass ich mir so etwas schon seit langem wünsche?“ Der Schenker freut sich über die gelungene Überraschung, während der Beschenkte nur darauf wartet, dass der Gast die Wohnung wieder verlässt, um die bildgewordene Scheußlichkeit entsorgen zu können.

Wer kennt solche Situationen nicht? Der Schenker will Freude bereiten und erwartet eine dementsprechende Reaktion des Beschenkten. Dieser spielt mit, um die Regeln des höflichen Miteinanders nicht zu verletzen. Doch muss das wirklich so sein oder darf man ehrlich sein?

Man darf! Sofern man in Kauf nimmt, sein Gegenüber vor den Kopf zu stoßen und nicht mehr eingeladen, besucht oder beschenkt zu werden. Man darf, wenn man damit leben kann, als Spinner ohne jeglichen Sinn für Anstand zu gelten.

Jeder hat schon einmal in seinem Leben erlebt, dass er seine Emotionen nicht offen zeigen konnte oder sich dazu gezwungen fühlte, falsche Gefühle vorzuspielen - aus Angst ansonsten ausgelacht oder falsch verstanden zu werden. Die Menschen haben verlernt, offen und ehrlich Gefühle und Emotionen der Situation entsprechend zu zeigen, ohne sich dabei zu überlegen, was das Gegenüber über einen denkt, wenn man sich entgegen den Regeln der Gesellschaft benimmt.

Ehrliche Emotion sollte kein Tabu sein. Schenkt man, wie in unserem Beispiel oben, ein Bild, das nicht gefällt, und sagt das der Beschenkte, so weiß man vielleicht beim nächsten Mal besser, was den Geschmack der betreffenden Person trifft, und man hat die Möglichkeit, ehrliche Freude zu bereiten. Umgekehrt hat der Beschenkte die Möglichkeit, sich dann aufrichtig zu freuen und dies offen zu zeigen. Das würde nicht nur unser Zusammenleben einfacher gestalten, es würde uns auch viel Energie sparen, die wir ansonsten mit Vorgaukeleien verschwenden.

Doch haben wir überhaupt noch die Fähigkeit, aufrichtig zu sein?

Kinder besitzen sie zweifelsfrei, doch sobald sie diese artikulieren können, arbeiten die Erwachsenen hart daran, sie den Kindern abzugewöhnen, denn „das kann man doch nicht sagen!“ Man kann. Die Erwachsenen glauben nur, man sollte nicht. Warum? „Was sollen die Leute denken?!“

Schon im Babyalter fangen Erwachsene an, Kinder zu verbiegen, bis sie brechen. Ein Baby soll nicht die Eltern tyrannisieren, indem es weint und dann bekommt, was es will. Also muss es auch einmal weinen, ohne dass reagiert wird. So lernt es, dass es seinen Willen nicht immer durchsetzen kann. Ein Baby weint aber nicht aus Kalkül, sondern weil dies nun mal seine Ausdrucksform ist, weil es einen bestimmten Grund und die Hoffnung hat, dass vor allem seine Mutter ihm hilft, diese unangenehme Situation zu beenden. Tut die Mutter das nicht, erschüttert das das Urvertrauen des Kindes.

Als Ersatz für nicht ausgedrückte Gefühle kommen Daumenlutschen und Kuscheltiere ins Spiel, die nichts weiter als Ersatzhandlungen sind und somit die wahren Emotionen unterdrücken. Allein die gesellschaftliche Annahme, Jungen dürfen nicht weinen, weil ihr Geschlecht dieses Verhaltensmuster nicht vorsieht, wirken sich negativ auf die Fähigkeit, Emotionen offen und der Situation entsprechend zu zeigen, aus.

Psychologisch betrachtet ist die Emotionalität ein Verhaltensmuster, das es dem Menschen ermöglicht, adäquat auf diverse Situationen zu reagieren. Der Erwachsene vergeudet hingegen enorm viel an Energie darauf, möglichst inadäquat, dafür aber gesellschaftskonform zu reagieren.

Von Kindesbeinen an lernen wir, nicht wir selbst zu sein. Wie gesund kann es aber sein, sich andauernd selbst zu verleugnen? Wer von uns weiß schon, wer er wirklich ist? Wir wissen nur sicher, wer wir sein sollen.

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern, was wir über Dinge denken“, sagte der römische Philosoph, Dramatiker, Naturforscher und Staatsmann Seneca. Wir scheuen uns davor, unsere eigene Persönlichkeit preis zu geben, und bleiben lieber höflich. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Menschen Angst vor sich selbst, vor der eigenen Persönlichkeit haben?

Psychologen, Esoteriker und viele viele andere leben gut davon, Menschen zu helfen, wieder zu sich selbst zu finden. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft von Suchenden, die niemals ans Ziel kommen.

Das Problem kann allerdings nur an der Wurzel gepackt werden: Mütter müssen ihren Kindern helfen, sich nicht zu verlieren. Das wiederum kann nur funktionieren, indem man den Kindern Ehrlichkeit - auch auf Kosten der Gesellschaftskonformität - vorlebt.

Warum fällt es uns schwer, unsere Gefühle klar und deutlich auszudrücken? Warum bleiben wir lieber mit dem Gesprächspartner im Streit, weil wir glauben, unverstanden und ungehört geblieben zu sein, weil wir den eigenen Emotionen keinen freien Lauf gegeben haben? Warum können wir unser Herz nicht auf der Zunge tragen? Kann man mit solchen Vorgehensweisen eine verständnisvolle und gute Kommunikation erreichen?

Warum bleibt man höflich, wenn die Emotionen ein anderes Signal geben? Warum ärgern wir uns lieber über den Gesprächspartner und die ganze Welt, wo wir doch wissen, dass dies zu keiner konstruktiven Lösung aus der Situation führt?

Also trauen Sie sich: Zeigen Sie Ihren Kindern, wie es geht. Seien Sie ehrlich, seien Sie echt, seien Sie Sie selbst!

(vs)

Fotos: suca
          makram


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