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Sexuelle Revolution in Glieder getarnt
18.03.2013

Unter "Ballett" versteht man einen klassischen Tanz - man könnte auch sagen, eine klassische Aufführung für jedermann. Denn im Gegensatz zur Oper oder zum Theater fallen hier alle Sprachbarrieren weg. Denn statt der gesprochenen Sprache kommt hier Körpersprache zum Einsatz. Ein und dieselbe Bewegung wird von Personen aus verschiedenen Kulturen unterschiedlich aufgefasst und wahrgenommen. Im Ballett läuft die Kommunikation auf einer anderen Ebene ab.

Am 16. März 2013 spielte „Celebrating Sacre“ seine Premiere in der Grazer Oper. Als Anlass dafür war das 100 Jahre „Le sacre du printemps“ Jubiläum.

Drei Tanzstücke wurden bei der Premiere von „Celebrating Sacre“ dem Grazer Publikum präsentiert.“Daphnis“, „Fauno“ und „Sacre“. „Daphnis“ und „Fauno“ sind ein Spiegelbild eines Mann-Frau-Verhältnisses und der Beziehung zur Sexualität in der Zeit des 20en Jahrhunderts. Das erste Tanzstück erzählt von der Entwicklung der Sexualität von zwei Hirtenkindern, die nach einer Pubertätsperiode ihre eigene Mann- bzw. Frauenrolle wahrnehmen und mit dieser umzugehen lernen. Die Tanzbewegungen in diesem Tanzstück waren erotisch, die Berührungen sehr intim.

Wir sind in Frankreich, Belle Epoque, in der Zeit des Glaubens an einen lang ersehnten Fortschritt in allen Lebensbereichen. Die Zeit, in der das „Böse“ erfolgreich bekämpft wurde und nun Wirtschaft, Kultur und Lebensqualität zu blühen begonnen haben. Die Mann-Frau Beziehung bekommt eine neue Dimension. „Frau“ wird zu einem Objekt der Begierde, das seine Erotik als Macht gegen den durch seine quälende Leidenschaft stöhnenden Mann einsetzt. So eine Femme fatale wird zur Hauptfigur der Literatur der Belle Epoque: Concha Perez, die Protagonistin in Louÿs zweitem Roman,  ihre Vorgängerin in Mérimées Carmen, ihr deutsches Pendant in Wedekinds Lulu und ebenfalls in Nabokovs Lolita. 

Trotz dem Wertewandel ist das Pariser Publikum nicht jedem Ausdruck gegenüber offen. 1912 bei der Erstaufführung des Tanzstückes „Fauno“ schaffte es der Jahrhunderttänzer Vaslav Nijinsky, die Zuschauer  in Verlegenheit zu bringen. Auf die anzüglichen Gesten und Tanzbewegungen des erotisch-träumenden Fauns war keiner der im Saal Anwesenden eingestellt. Damals, vor hundert Jahren. Heute, in einer Zeit, in der Pornografie und Nachttänzer zum Alltag gehören und „Harlem Shake“ mit Erotic Style eine beliebte Tanzrichtung ist, läuft keiner mehr im Publikum rot an.

Auch der nackte Daphnis (Bostjan Ivanjsic), der seine Glieder ganz unverschämt in einem in die Bühne eingebauten kleinen Wasserteich badete, regt mehr zu unverschämten, als zu peinlichen Gedanken an.

Das dritte Tanzstück, „Sacre“, Musik „Le sacre du printemps“ von Igor Stravinski, wurde als Verkörperung einer tiefen Aggression dargestellt. Spektakulär war das Bühnenbild aus mehreren hängenden Strohpuppen, die zusammen mit dem Zaun aus Bambusstöcken zum Abschluss der Szene zu Boden gingen. Die Kostüme waren in militärischer Form.

Die Kostüme zu den Tanzstücken „Daphnis“ und „Fauno“ waren schlicht gehalten, sowohl was den Schnitt angeht, als auch im Sinne der Farben. Ausschließlich ein hautfarbenes Unterteil bei den Männern, ein Korsett mit roten Schleifen und je ein auffallend glitzernder Stein auf den Brustwarzen bei den Frauen. Mit roter Farbe wurde Leidenschaft und Lust zum Ausdruck gebracht, mit weißer – Jungfräulichkeit und Unerfahrenheit.

Auch wenn nach dem ersten Akt die Reihen etwas leerer wurden, wurden die Tänzer am Ende der Aufführung mit einem anhaltenden Applaus und „Bravo“-Rufen belohnt.

Der letzte Termin für „Celebrating Sacre“ in der Grazer Oper ist als 2. Juni festgelegt.

(vs)

Fotos: Werner Kmetitsch


die-frau.at