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"Der Staatsfeind Kohlhaas" – von Pferden, die vom Ficken denken und von Menschen, die um Gerechtigkeit kämpfen
01.10.2012
Michael Kohlhaas, ein deutscher Pferdezüchter, fährt mit einem guten Dutzend erstklassiger Pferde zur Leipziger Messe, um mit ihnen Geschäfte zu machen. Stattdessen gerät er in einen geschlossenen Kreis aus Ungerechtigkeit und einflussreichen Menschen. Im Endeffekt verliert er seine Pferde, seine Frau wird erschlagen, sein treuer Knecht im Kampf getötet. Doch es handelt sich in diesem Stück nicht um ein trauriges Schicksal, sondern um den Kampf um das Recht. Denn Michael Kohlhaas geht es in erster Reihe nicht um das Wohl und den Wert der Pferde, sondern um die Wiederherstellung der Gerechtigkeit in seinem Land. Aus Zorn und Hass entschließt er sich sogar, sein Haus zu verkaufen – um ein Viertel seines wahren Preises. Denn in einem Land, in dem Ungerechtigkeit statt bekämpft weiter ausgeübt wird, will er nicht leben. Seine Verzweiflung und sein Hass bringen ihn dazu, dass er zu einem Mörder und Rebellen wird. Eigengerechtigkeit bzw. Selbstjustiz ist heutzutage  nicht selten. Denn in einer Gesellschaft, wo es zwar allgemeine Rechte gibt, diese aber für eine bestimmte Gruppe von privilegierten Personen nicht gültig sind, wechselt man gezwungenermaßen die Seite. Die Verantwortung für die Taten trägt schlussendlich das Opfer der Umstände. Und trägt denn im Endeffekt der Bürger, der durch die einflussreichen Personen der Gesellschaft zu einem Außenseiter gemacht wurde, die Schuld dafür, dass er sich als gezwungener Außenseiter in seiner Haut nicht wohl fühlt?


 
Wozu ein Mensch, der sich verraten und verlassen fühlt, fähig ist, und was die wahren Werte im Leben sind, zeigten zwölf StudentInnen im dritten Studienjahr an der Kunstuniversität Graz im Stück "Der Staatsfeind Kohlhaas", das gestern am 30.09.2012 Premiere hatte. Überaus professionell, charismatisch und witzig haben sich die jungen SchauspielnovizInnen in Szene gesetzt. Nicht umsonst spendete der ausverkaufte Saal der Probebühne des Schauspielhauses einen kräftigen Applaus. Die Angepasstheit an die moderne Wahrnehmungsart, ein Witz, der scheinbar in so einem ernsten Stoff nichts verloren hat, verbunden mit der Tragik der Handlung, mobile Bühnendekorationen und Einbindung und Bespielung des Zuschauerraumes sorgten für einen unterhaltsamen Abend. Einige Zuschauer konnten sich gar vor Lachen nicht beherrschen.
 
Hervorstechend sind einige Schlüsselereignisse der Aufführung, die den Zuschauer dazu anregen, sich eigene Gedanken über die angesprochenen Themen zu machen. Z. B. ein Vater, dem die Leben seiner Kinder nichts wert sind, dafür aber sein eigenes. Oder die Darstellung der zwei sehr verschiedenen Frauengestalten: in Person der Lisbeth (Franziska Plüschke) und der Stute (Claudia Kainberger). Während Lisbeth als eine typische Ehefrau, die ihrem berufstätigen Ehemann (Dominik Jedryas in der Rolle des Michael Kohlhaas) dient, die Kinder großzieht, ist die Stute ein Beispiel für die Kräfte der Natur. Sie will von dem Hengst nur, dass er sie fickt, und nur, weil sie ein Fohlen will.

Durch ihre offenen und ehrlichen Umgangsformen erhielten Stute und Hengst wesentlich mehr Anerkennung vom Publikum. Im Gegensatz dazu steht die eher umgängliche, aber langweiligen Art des Lisbeth.
 
 
Die Inszenierung nimmt immer wieder einen neuen Charakter an: mal ist es ernsthaft, mal ist alles witzig, sodass man den Ernst der Geschichte vergisst. Die Kulissen auf der beweglichen Bühne aus einer Holzkonstruktion, die an das trojanische Pferd erinnern, erzeugen ein beeindruckendes Bühnenbild. Vor allem die Nähe und das gute Zusammenspiel zwischen dem Publikum und den Schauspielern bilden die goldene Mitte des Stückes.

(vs)
 
Fotos: Lupi Spuma

die-frau.at