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Das Allgemeinrezept für eine funktionierende Sexualität lautet: Orgasmus der Frau geht vor
22.04.2012
Eine erfolgreiche Journalistin eines renommierten französischen Magazins „ELLE“ macht Einblicke ins Leben von zwei Studentinnen, die ihre Lebenszeit in Prostitution investieren. Diese bringen sie dazu, ihre eigene Sexualität und Sexualleben zu erforschen und zu entdecken.

Die letzte Szene des Filmes „Das bessere Leben“ (Regie: Malgorzata Szumowska) stellt ein gemütliches Frühstück im Familienkreis dar. Eltern mit starrem Blick, einem gezwungenen Lächeln, nervös kauend, ordentliche und sich gut benehmende Kinder. Eine Idylle, wie sie von der Gesellschaft  so schön gepredigt wird.
 

 
Nicht nur dieses Morgenritual, sondern das gesamte Familienleben der erfolgreichen Pariser Journalistin Anna(Juliette Binoche) lässt einen schön breit gähnen. Die Nackt- und Sexszenen, von denen die Prostituierten so detailliert erzählen, werden zur Erregung so mancher Feuchtstellen. Man merkt, dass auch die reife Journalistin noch einiges an sexuellen Phantasien in ihrem Koffer hat. Anna findet sich in den Erzählungen der Frauen, die aus Not am Geld ihren Körper und ihre Sexualität verkaufen, wieder. Sie fühlt sich ebenfalls alleine und ist sexuell frustriert. Sie begibt sich auf die Suche nach der Sexualität und entdeckt schließlich, dass sie sich spüren will, ihre Sexualität ausleben will. Aus diesem Grund gleitet ihre Hand auf ihre Brust und als nächstes sieht man sie im Badezimmer masturbieren.
 

Erst stellt sich für Anna - hoffentlich auch für den Zuschauer die Frage - was denn eigentlich die Sexualität, vor allem die funktionierende Sexualität ist? Und wie sollen wir es wissen bzw. herausfinden, wenn sie uns von klein an falsch vorgelebt wird? Die Pariser Journalistin merkt erst jetzt, dass sie ein falsches Vorbild für ihre zwei Kinder ist. Der reife Sohn schöpft sein Wissen über die Sexualität aus Pornovideos, der Jüngere ist noch am Weg dorthin. „Auch seine Zeit wird noch kommen. Er muss davor nur noch ein Massaker durchführen.“, fasst Anna die Situation richtig zusammen.

Anna stellt auf einmal fest, dass sie viele offene Fragen hat, auf die nicht mal Alicija(Anais Demoustier), die Prostituierte aus Polen, eine Antwort hat. „Aber finden Sie es nicht demütigend? Gefällt es Ihnen, wenn sie Ihre Brüste massieren? Haben Sie das Gefühl, dass sie dominieren oder das sie dominiert werden?“.

Charlotte fasst jedoch die Sexualität mit ihren Kunden und ihrem Freund ganz richtig zusammen: Sie ist in einer Lüge verwickelt. Das ist das Größte, was ihr an ihrer „Tätigkeit“ stört und was sie kaputt macht.      

Wie findet man jedoch heraus, was die Sexualität ist und für wen diese stattfinden sollte? Für den Mann, für die Frau? Im Endeffekt entschied sich Anna dafür die Ehe zu retten, indem sie die Tricks, von denen ihr die Prostituierten erzählt haben, an ihren Mann anwenden will. Wird somit das Richtige für die Kinder vorgelebt? Und was ist da  der Unterschied zwischen ihr und einer Prostituierten? Demütigend habe ich diese Szene gefunden. Und noch abrupter war die Reaktion des Mannes, der einige Stunden davor selbst einige Anmachversuche gestartet hatte und jetzt nur noch das Kühne: „Ich will jetzt nicht“ aus sich herauszupressen wusste. Als ob die Sexualität für einen Mann stattfindet. Oder ist es die gesellschaftliche Vorstellung? Eine Zuschauerin im Kinosaal schien dem Trend nachzukommen, indem sie am Ende des Filmes zu ihrem Freund sagte“ Du hättest das sicher auch gerne“. Beide schmusten die ganze Zeit während der Kinoschau. Der Mann fand die Situation total geil, die Frau fühlte sich eher bedrängt und gezwungen.

„Das bessere Leben“ zeigt, dass jeder, der mit der vorgelebten Sexualität nicht im Klaren ist, sich auf die Suche nach einer funktionierenden Sexualität begibt. Nachdem man einiges ausprobiert hat, stellt sich dann einer entweder damit, was man hat zufrieden oder verzichtet ganz auf die Sexualität. Was von beiden schlechter bzw. besser ist steht nicht zur Diskussion, denn in der Relation zu einer funktionierenden Sexualität - nämlich, dass die Frau vor dem Mann und dies zwar jedes Mal, befriedigt wird - Peanuts ist.

„Das bessere Leben“ läuft mit einigen Unterschieden seit März in den europäischen Kinos.

Varvara Shcherbak

Fotos: Thimfilm

die-frau.at