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Folge meinem Befehl oder dein Arsch wird meinen Gurt kennen lernen
20.04.2011
"…Hatte einen Vorfall, wo ich eine Mutter gesehen habe, die ihr Kind mit voller Kraft ins Gesicht gehauen hat vor dem Supermarkt(wg. einem nichtigen Vorfall!). Ich und Kind (Mara war auch dabei)waren geschockt, hab noch was eingeworfen wie: das finde ich nicht richtig etc. aber die waren so grob und ich hatte Angst wg. dem Chaos und Mara. Nächstes Mal möchte ich besser reagieren: also Darf eine Mutter o. ä. überhaupt dem Kind gegenüber handgreiflich werden?", stellt die Userin maramama auf gutefrage.net eine Frage, die ohne Zweifel jeden, ohne Ausnahme, interessiert bzw. die sich viele selbst still stellen und es nicht wagen, in der Öffentlichkeit zu reagieren.

Sollten diese bzw. derartige Fragen überhaupt vorkommen? Ist dieses Verhalten nicht kinderunwürdig, höchster Misshandlungsfall und sollte aus dem Umgang mit Kindern nicht ausgeschlossen sein? Zwei Forscher, der Soziologe Murray Straus von der University of New Hampshire in Durham und Mallie Paschall vom Prevention Research Center in Berkeley, California, zeigten mit ihren umfangreichen Recherchen und Forschungsarbeiten, dass Kinder zwischen 2-5 Jahren, bei denen Handgreiflichkeiten nicht den Alltag bestimmten und von den Forschern innerhalb von vier Jahren beobachtet wurden, mit einer Prozentzahl von 5,5 in ihrem IQ-Niveau höher lagen, als ihre geschlagenen Altersgenossen. Die Conclusio, die Murray Straus laut "New Scientist" daraus zog, lautet: „Schlagen Sie Kinder niemals“ (orf.at) und er hofft, dass seine Botschaft die Ohren der Eltern erreicht.

Handgreiflichkeiten gegenüber einem Kind sind bereits in den Alltag übergegangen und gehören bei vielen Müttern, wie sie so fein ausdrücken „zu einer Gewohnheit“ (jeenaparadies.net). Immerhin geben die zwei Forscher Murray und Parschall an, dass 93 Prozent der Mütter zugeben, ihre 2 bis 5-jährigen Kinder mehrmals wöchentlich zu schlagen. Bei den 5 bis 9-jährigen beträgt die Zahl 58 Prozent.

Wie kann es sein, dass Misshandlung der Kinder, statt dem Gebot des Körperkontaktes, der Nähe und der Geborgenheit durch das Stillen und Tragen, die für das Wachstum so wichtige Wärme und Nähe, sich in den Alltag vieler Kinder einnistet? Das Kind schreit im Friseursalon, weil ihm mit Gewalt die zersausten Haare zurechtgemacht werden. Die Mutter steht daneben mit verschränkten Armen und sagt wiederholt, das Kind hat es ja verdient, weil es so ungehorsam beim Haarewaschen und Kämmen war. Eine zufällige Zeugin macht den Einwand, die Mutter sei Schuld, denn sie sollte darauf achten, dass das Kind jeden Tag gepflegt und schön aussieht. Mir geht es dabei nicht um Schuldbekenntnisse oder -zuweisung, nicht um die Betroffenen oder wie es besser zu machen wäre, sondern um das Kind, das lauthals in das Gesicht der Mutter schreit, nach ihrer Nähe verlangt, nach einem kleinen Trost und eine Botschaft schickt, die bei der Mutter leider nicht ankommt.

„Ich bin als Kind auch geschlagen worden und es hat gaaarnix gebracht - nur Hass auf die Eltern.“, wenn man diesen Satz auf der Seite von gofeminin.de liest, wird man sofort baff. Ist dies unser Ziel? Als Eltern völlig an Bedeutung zu verlieren, aus einem sicheren Hort, einem Hafen, wo man sich wohl und geborgen fühlt, einen Sitz der Angst und des Hasses zu schaffen? „Allein schon wenn wir was ausgefressen haben und wussten gleich gibt´s was auf den Hintern, haben wir ein paar Hosen ein paar Pullover übereinander gezogen, die üblichen Schlag-Gegenstände versteckt (waren fast immer Hausschuhe) (Meistens war die Wut bei meinen Eltern während des Suchens verraucht) Wenn es doch zum Hintern versohlen kam, dann haben wir besonders bitterlich und herzzerreißend geweint, wenn wir richtig gut waren kriegten wir sogar einpaar Tränen Zustande. Die Lehre die wir daraus gezogen haben war: beim nächsten mal unsere Verbrechen zu perfektionisieren und besser vertuschen. Und unsere Eltern nichts erfahren.“ (gofeminin.de) Nicht nur für die Eltern bzw. für die Mutter wird das Zuschlagen zu einer Gewohnheit, es sind vor allem die Kinder, die sich an die Situation anpassen und nach keiner Lösung suchen bzw. zu keinem Versteck neigen, sondern lernen ein paar Minuten die Zähne zusammenzubeißen.

Mich hat die Antwort meiner Mutter auf die Frage, ob sie mich als Kind geschlagen hat, geprägt und mein Vertrauen zu ihr aufgebaut. „Mich irritierte dein Gesicht voller Vorurteil, nachdem ich dich ein Mal sanft auf den Popo einen Klatsch gegeben habe. Seitdem taucht jedes Mal dieses Gesichtsausdruck auf, wenn meine Hand dir gegenüber hebt.“ Mein Großvater realisierte seinen Fehler zu spät, als die Verbindung zwischen ihm und seiner älteren Tochter, meiner Tante, bzw. ihr und ihrer Mutter bereits zerbrochen war. „Tritt niemals in meine Fußstapfen“, sagte er zu meinen Eltern als ich geboren wurde. Den Vater, der die Tochter voller Wut verprügelt und die Mutter, die das zulässt bzw. sich nicht vor das Kind stellt, wollte er mir dann doch nicht antun.

Das Erbärmlichste und Traurigste an dem Zuschlagen bei Kindern ist, das Schweigen und die vermeintliche Unbetroffenheit der „Zuschauer“. Eine Bekannte erzählte mir, gesehen zu haben wie ein Kind auf der Straße misshandelt wird. Sie wollte, hat sich aber schließlich doch nicht eingemischt. Warum? Weil es nicht ihr Kind ist und es sie nichts angeht, wie sie erklärte. Hat eine Mutter eigentlich unendliches Wissen, um richtige Entscheidungen zu treffen und richtig zu handeln? Ist eine zusätzliche Information des Goldes Wert? Und was entspricht mehr dem „Wohl“ des Kindes: die Augen zuzudrücken oder den Mund aufzumachen? Wenn sich auch die Mutter, wegen ihrer Sturheit oder auch aus Angst nicht gesellschaftskonform zu handeln, gegen diese Information stellt und die Misshandlung gegenüber dem eigenen Kind fortführt, sollte man sich nicht besser fühlen, zumindest auf das falsche Verhalten hingewiesen zu haben? Denn dann ist man nicht selbst das „stille Arschloch“, das indirekt zur Misshandlung, dem Zuschlagen beiträgt.

Nicht zuletzt steht es in dem bürgerlichen Gesetzbuch (Buch 4 – Familienrecht (§§ 1297 - 1921): „2)** Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. **“

Nur wird oft auf Zeichen und die Hilferufe der Kinder gepfiffen.

(vs)

Foto: ak nemati

die-frau.at