Das Leben ein Fest > Zu sehen
Wenn sich der Vorhang schließt, bleibt nur die Einsamkeit
22.06.2018
Über Graz wütet Gewitter. Nach einem tödlichen Vorfall im Stadtpark, bei dem ein 26-jähriger durch einen alten, aus dem Erdboden gerissenen Baum erschlagen wurde, werden der Stadtpark und der Schloßberg gesperrt. Damit kommt die Unsicherheit, ob die Vorstellung nun stattfindet, bis zur erlösenden Nachricht der Oper Graz per E-Mail, dass es einen Weg hinauf über die Schloßbergbahn gibt. Der lang ersehnten Vorstellung sieht nun jeder Besucher gespannt entgegen. Nichts mehr hindert ihn, nicht einmal das für diese Sommerzeit ungewöhnlich kühle Wetter. Zahlreiche Besucher bevölkern die Schloßbergkasematten. Die Bühne (Ausstattung: Vibeke Andersen, Licht: Sebastian Alphons) ist längs aufgestellt Richtung Balkone, sodass auch diese bespielt werden. Ein riesiges Herz mit Blutgefäßen, die sich von ihm in alle Richtungen abzweigen, bildet den Mittelpunkt. In der Mitte eine Leiter. Der Orchestergraben (Musikalische Leitung von Marcus Merkel) verschwand hinter einer durchsichtigen Wand auf der ursprünglichen Bühne, und es ertönten durch die Lautsprecher die wunderschönen Klänge. Gesungen und größtenteils gesprochen wird in Spanisch, was für jemanden, der kein Spanisch spricht, eine Hürde bildet, die ohnedies komplexe Geschichte rund um Maria de Buenos Aires zu verstehen. Schön klingt es trotzdem und authentisch. Es verführt in die Welt des Tangos, der Leiblichkeit, der Sehnsüchte und Träume. 
 

 
„Maria de Buenos Aires“ in Inszenierung von Rainer Vierlinger erzählt von einer Frau, die sich nach Größerem sehnt und die das Schicksal in den Abgrund führt. Doch bleibt die Geschichte von ihr eine Einzelerzählung 
 
oder steht sie für den Lebensweg vieler Frauen? „Traurige María von Buenos Aires...

Vergessen bist du unter allen Frauen.“, erzählt uns der Geist. Als Göttin und Taugenichts wird Maria de Buenos Aires bezeichnet. Auf der Suche nach etwas Ungreifbarem, nach einer Leidenschaft, die sie ruft, verlässt sie zuerst den träumenden Buonaerenser Gorrion, der sie heiraten will, dann ihre eigene Heimatstadt. Auf der Suche nach sich selbst, nach ihrer Berufung, ihrer Destination verliert sie im Endeffekt sich selbst. Durch den Buonaerenser Gorrion fühlt sich Maria gemüßigt, an einen Ort gebunden zu sein und eingesperrt fern von ihren Träumen, durch Bandoneon fühlt sie sich wiederum angezogen und verlockt. Sie sehnt sich nach der Großstadt, nach einer Menge, die zu ihr hinaufschaut und sie verehrt, solange sie unter den Tönen von Bandoneon ihre Tangoschritte ausführt. Die Tangooper „Maria de Buenos Aires“ mit der Musik von Astor Piazzolla ist eine Erzählung über ein Künstlerschicksal. Man ist süchtig nach dem Ruhm, nach dem Applaus, der Publikumsanerkennung und merkt es gar nicht, dass das nur so lange andauert, bis der Vorhang fällt. Sobald dieser zugeht, wird man verrückt vor Einsamkeit. So wird Maria de Buenos Aires nach ihrem Tod ebenfalls zur Einsamkeit verurteilt.
 

 
In einem psychoanalytischen Labor wird die Erinnerung von Maria de Buenos Aires ins Leben gerufen. Fest steht, sie kann sich an gar nichts mehr erinnern, was sie persönlich angeht: ihre Familie, ihre Verehrer. Als der Geist von Maria de Buenos Aires sich selbst als ein Kind sieht, unschuldig, lebenslustig, lebensfroh, eine heranwachsende junge Frau, die sich heimlich einen roten Lippenstift aufträgt und den Tönen von Bandoneon lauscht, kommen dem Geist die Tränen. Der Geist von Maria de Buenos Aires wischt sich hastig den Lippenstift mit dem Ärmel weg. 
 

 
Der Buonaerenser Gorrion, dessen Liebeserklärung von Maria de Buenos Aires abgelehnt wurde, taucht nochmal auf, um sie von den Dieben zu befreien und ihr die Flucht zu ermöglichen, bis der finale Schuss ertönt und er in tiefe Depression verfällt. Er beweint ihr Grab, bis er ihren Geist als befreit und in jedem und überall lebend sieht. 
 

 
Die Musik von Astor Piazzolla, das Libretto von Horacio Ferrer schmückte die überwältigend schöne Mezzosopran-Stimme von Anna Brull, die der von Bonnie Tyler ähnelt. Wie immer stimmgewaltig war auch Ivan Orescanin. Auch wenn der Inhalt zu viele offene Fragen lässt und nicht alles sprachlich leicht verständlich ist, so wird man von dem Tango-Tanz, von der Musik und der Bühnendekoration ausreichend mitgerissen, sodass der Rest keine so große Rolle mehr spielt. 
 

 
Ein gelungener geheimnisvoller und stimmgewaltiger Abend auf den Schloßbergkasematten. 
 

vs

Fotos: Werner Kmetitsch

die-frau.at