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In einem Atemzug
02.08.2017
Jedes Jahr wird das Grazer Publikum aufs neue begeistert und außer Atem gebracht. Viele neue Künstler, die Tendenz steigt allerdings stark Richtung Akrobatik. Die Schauspielszene, wo das Publikum in das Stück eingebunden ist und aktiv mitmacht, die ich noch vor 5 Jahren erlebt habe und wo ich mich damals in La Strada verliebt habe, ist beinahe ausgestorben. Das Angebot hat nicht nachgelassen, sondern die Qualität, besser gesagt die Phantasie scheint etwas gealtert zu sein. 
 
Weil es keine Opernaufführung am Sonntag gegeben hat, bekam ich zwei Karten für die Vorstellung des Akrobaten-Paares Kati Pikkarainen und Victor Cathala unter dem Namen „Cirque Aïtal“ im Zelt im Augarten. Bei der Vorschau des Programms sowie durch Recherche auf youtube haben mich die Künstler zuerst nicht überzeugt. Zu kindisch fand ich sie. Was mich und weitere Besucher (es war wohl jeder zum Schluss verwundert, warum die Vorstellung nicht ausverkauft war) im Zelt erwartet hat, war nicht vorauszusehen. 
 
Mit viel Passion, Hingabe, in einem Atemzug präsentierte das französisch-finnische Akrobaten-Paar sein Programm - eine Liebesgeschichte, die die Tiefen und Höhen durchlebt. Es gibt Eifersucht, Beleidigungen, Befindlichkeiten, Flucht vor Bemutterung, Beschimpfungen, Blumen und Tango unter dem gedämpften Scheinwerferlicht. Intim, sexy, mit viel Witz und Gefühl.   
 

 
Akrobatische Tricks, die einen außer Atem bringen und gleichzeitig begeistern, wieviel Vertrauen beide ineinander haben. 
 
Was diese Vorstellung von vielen anderen unterscheidet ist das Knistern, eine Spannung, die zwischen beiden Akrobaten herrschte, die dabei so ungleich sind - er hoch und robust mit einer lockigen Mähne, sie klein, zierlich und blond. Aber nicht nur zwischen den Akrobaten, sondern auch zwischen den Akrobaten und dem Publikum hat es das Knistern gegeben. Nicht einmal das Ausbeuteln der Altsocken konnte die Chemie zerstören. 
 
Zu Recht Standing Ovations und viel Applaus den beiden und ihrem vierbeinigen Freund, die zu zweit viel mehr als eine ganze Truppe waren und den Zuschauer an dem Abend mit Begeisterung leben ließen. 
 
Eine Frage bleibt jedoch an diesem Abend noch offen: Wie ist denn bitteschön das Auto gefahren? Wenn aus diesem jedes einzelne Teil abgebaut wurde, die Motorhaube mit Gegenständen befüllt und von Akrobaten frei begangen wurde, wie kann denn bitteschön dieses Blechkasten noch fahren? 
 
Und wie viel Akrobatik verträgt Ihre Beziehung?

vs


Titelfoto: C. Raynaud De Lage
Foto im Text: Strates-Mario del Curto
 


die-frau.at