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Die Ironie der Selbstverletzung
11.04.2016
Was bedeutet eine Frau zu sein? Wo ist die Grenze zwischen Kind- und Frausein? Macht einen die Erkenntnis glücklich? Im Musical „Tell Me on a Sunday“, aufgeführt auf der Studiobühne der Grazer Oper, findet man keine Antworten auf diese Fragen, jedoch setzt sich der Inhalt des Stückes damit auseinander.

Was man als Kind nicht bekommen hat, versucht man vergeblich, im Erwachsenenleben nachzuholen. Die Protagonistin des Musicals „Tell Me on a Sunday“ von Andrew Lloyd Webber, Inszenierung von Rainer Vierlinger, eine junge namenlose Frau, sehnt sich in jeder Beziehung nach Liebe, Geborgenheit, Zuneigung. Sie hat das Gefühl, sie verschmilzt liebend, wird ein Teil von etwas. Ihre Traumvorstellungen erleben jedoch jedes Mal Schiffbruch und sie, um nicht verletzt zu sein, verlässt ihren Partner als erste.

 
When you are away ev'ry day I pray that nothing dies,
and you'll come back with the same look in your eyes.


Wenn du gehst, bete ich jeden Tag, dass die Gefühle bleiben
und du kommst zurück mit dem gleichen Glanz in deinen Augen.

(Aus „Come Back with the Same Look in Your Eyes”)

 
Sieglinde Feldhofer als junge Frau taucht aus einer Rolle einer naiven romantischen Verliebten in eine Furie, die eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat und am Wochenende gemeinsam mit seinem Kind in den Park spazieren geht. Mal fühlt sie sich überflüssig, weil sie sich einsam beim Verweilen am Pool fühlt (ihre Sorgen hätten wir gerne!), mal leidet sie an Depressionen, weil er schon wieder fort ist.

Did I happen to mention that I love everything that you do.
That's enough about me, let's talk about you.


Habe ich schon erwähnt, dass ich alles liebe, was du tust.
Aber genug über mich, sprechen wir über dich.

(Aus “Let´s Talk About You”)

Ein Ein-Personen-Stück ist keine leichte Aufgabe. Sieglinde Feldhofer erfüllt diese, ohne sich dabei sichtlich viel anzustrengen. Die Stimme, die uns durch ihre Stärke bekannt ist, erklingt auf der kleinen Studiobühne umso fülliger und lässt uns intensiv mitleben. Sie so nah zu erleben, wo jede Mimik, jeder emotionale Ausdruck hautnah erlebt und wahrgenommen wird, macht das Musical um so sehenswerter, auch wenn der Inhalt eines Schicksals im Hamsterrad etwas trübt.

Wissenschaftlich könnte man die junge Frau,  die Protagonistin des Musicals, einen "Messi" nennen, jedoch steckt hinter der künstlerischen Unordnung (Bühnenbild von Vibeke Andersen) eine tiefe Bedeutung. So zerstreut und unruhig der Geist der jungen Frau ist, so bleiben Kleidungsstücke, Kerzen, Blumen etc. als Schicksalsstationen im Raum liegen, um diese Atmosphäre auch dem Publikum zu vermitteln.

Der Ordnung halber sollte am Ende eine Trauerreprise einer armen verletzten Frau folgen. Jedoch wer hat ihr diese Verletzungen zugefügt? Eine Antwort, die uns nicht lange zum Nachdenken bringt - sie selbst. Kein Opferschutz für Selbstverletzte. Schöne Musik in Live-Aufführung eines Pianos und eines Violoncello (Gergely Mohl), bezaubernder Gesang, vertieft man sich nicht zu sehr in den Text, bieten einen schönen Abend auf der Studiobühne der Grazer Oper.


VS

Fotos: Werner Kmetitsch

die-frau.at