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Ivanov, sei still und werde erwachsen
15.04.2014
Burn-out, Depression, Selbstzweifel, Erschöpfung, Melancholie sind Symptome, die den modernen Menschen schwer belasten. Trotz der Meinung, dass diese eine moderne Erscheinung seien, litten viele Erdenbürger bereits im 19. Jahrhundert, genauer gesagt im Jahr 1887, unter den genannten Leiden, auch wenn diese nicht den gleichen medizinisch-wissenschaftlichen Namen hatten wie heute. Das Jahr 1887 wurde hier nicht zufällig erwähnt. In diesem entstand nämlich das Stück „Ivanov“ von Anton Tschechow, das ursprünglich als Komödie vorgestellt und erst zwei Jahre danach vom Autor selbst in eine Tragödie umgearbeitet wurde. Am 12. April fand im Schauspielhaus Graz die Premiere der Inszenierung von Jan Jochymski statt.


Ehekrise, die auch heutzutage modern ist

Grauer Boden, der vermutlich fruchtbaren Boden darstellt, nur ohne Gras, kleine Vertiefungen, spärlich mit Wasser gefüllt, und Ähren als einzige Zeugen der Lebendigkeit auf der Bühne – das sind die wichtigsten Dekorationen im ersten Akt von Raimund Orfeo Voigt und Denise Heschl. Einziges Mobiliar ist ein Klappstuhl, auf den Anna Ivanov zwingt und auf den sie selbst im wilden Streit zwischen den Eheleuten von Ivanov hingesetzt wird. Es ist ein Versuch von Anna Petrovna Ivanov festzuhalten. Dass sie ihn sexuell nicht mehr reizt, ist ihr bewusst. Sie merkt auch, dass ihre Tat, sich selbst und ihr eigenes Leben, ihre Überzeugungen als Geschenk für ihren Geliebten aufzugeben, Ivanov nicht mehr reizt. Er will ihr Opfer weiter nicht annehmen, verliert das Interesse an ihr und begibt sich auf die Jagd.

Anna versucht immer noch, das bereits schon unheilbar Zerstörte wiederzubeleben. Ihre Sicht nach hinten und nicht nach vorne, was keinesfalls positiv ist, zerstört sie selbst und stößt ihren Mann nur noch mehr von ihr weg. Ivanov hat keinen Respekt mehr vor seiner Frau, die einzigen Gefühle, die er ihr gegenüber verspürt, sind Mitleid und Schuldgefühle. Muss man aber immer Geben mit Geben begleichen? Bleibt man dann auf immer und ewig schuldig? In ihrer Verzweiflung küsst Anna Petrovna ihre Ärztin Jevgenija Lvova (Verena Lercher). Dies bleibt im weiteren die einzige Andeutung an Anna Petrovnas Lesbentum.

Wohlstand ohne Inhalt

Die Szenen, in der Ivanov und andere Gäste bei Saschas Eltern empfangen werden, sind von Teppichen dominiert: Teppiche auf dem Mobiliar, Teppiche als Bühnenvorhang, Teppiche als Türen, Teppiche auf dem Boden. Teppiche als Symbol des Wohlstandes. Eines Wohlstandes ohne Inhalt. Denn nicht einmal Saschas Eltern haben genug Phantasie, um die gelangweilten Gäste zu beschäftigen.

Pia Luise Händler in einem körperbetonten Kleid mit tiefem Ausschnitt, der den Blick auf ihre stark aufgepuschte Oberweite freigibt, spielt exzentrisch und sehr überzeugend die junge Witwe Marfa Jegorovna Babakina. Doch auch ihr fehlt es an Inhalt.

Die einzige mit Inhalt im Stück "Ivanov" ist Sascha, Lebedevs Tochter (Katharina Klar). Am Anfang macht sie den Eindruck einer intelligenten Frau mit hohen Zielen. Diesen Eindruck zerstört sie im Handumdrehen, nachdem sie verkündet, Ivanov retten zu wollen. Gleich wie Anna will sie ihr Leben und ihre Überzeugungen aufgeben und sich ihrem "Projekt", dem Kind, so sieht sie Ivanov, widmen. Schließlich tut es einem nicht einmal Leid um sie. Man versteht nur nicht, warum eine selbständige, selbstbewusste, intelligente Frau ihr Leben für jemanden, der nicht einmal ihre Gedanken wert ist, aufgibt.

Das Frauenbild von Sascha und Anna Petrovna gleichen einander in ihrem Ziel: Beide opfern sich für einen Mann, für ihr Projekt, und zerstören damit ihr eigenes Leben.

„Ivanov“ hat sich viel zu sehr verdeutscht. Nicht einmal die Namen wurden akzentfrei und mit der richtigen Betonung von den Darstellern ausgesprochen. Das einzig russische Lied war der Rap, der die Saufparty von Graf Matvej Semjonovitsch Schabelskij (Jan Thümer), Pavel Lebedev (Franz Xaver Zach) und Michail Michajlovitsch Borkin (Kaspar Locher) begleitete.

Ivanovs (Marco Albrecht) ununterbrochenes Jammern und Selbstzweifeln werden dem Zuschauer nach dem ersten Akt zur Qual. Man sollte beinahe Mut fassen und lauthals aus dem Saal auf die Bühne brüllen: "Ivanov, sei still und werde endlich erwachsen!"
 
VS

Fotos: Lupi Spuma

die-frau.at